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    "Wir schaffen das!", meinte Merkel - und Asem Almasry will es schaffen

    Bad Schussenried, 31.08.2019 (Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung)

    Auf den Tag genau ist es vier Jahre her, dass Angela Merkel in einer Bundespressekonferenz diesen Satz sagte: „Wir schaffen das.“ Die Bundeskanzlerin war sich sicher, dass es der deutschen Bevölkerung und Politik gelingen würde, die vielen Flüchtlinge, die damals ins Land kamen, zu integrieren.

    Einer der Flüchtlinge, die im Sommer 2015 nach Deutschland kamen, war Asem Almasry, der heute in Bad Schussenried lebt - und seit einem Semester an der Pädagogischen Hochschule Weingarten auf Lehramt studiert.

    Sprache, sagt Almasry gleich am Beginn der Begegnung, ist seine große Leidenschaft. Der Syrer hat Englische Literatur in seiner Heimat studiert, an der Al-Baath-Universität in Homs.

    Da er nach dem Studium keine Anstellung an einer Schule fand, unterrichtete er zunächst einige Jahre als Privatlehrer Englisch in seiner Heimat, danach nahm er eine Stelle als Englischlehrer bei der Saudi Electricity Company an.

    Fast fünf Jahre lang blieb er in Saudi Arabien. Nach dem Ende seines Arbeitsvertrags machte sich der junge Mann erneut auf die Reise, dieses Mal in die Türkei. Dort lernte er Arazu Mudhafar Saleem kennen, die beiden heirateten.

    2015: Der Krieg eskaliert

    Das Schlüsseljahr 2015: Der Krieg in Syrien erreicht einen seiner ersten Höhepunkte und Tausende Syrer verlassen ihre Heimat. Auch Arazu Mudhafar Saleem und Asem Almasry fassen den Entschluss, nach Deutschland zu flüchten.

    In der Türkei fühlen sie sich nicht mehr willkommen. Doch warum gerade Deutschland? Almasry zuckt mit den Achseln. „Ich hatte von allen Seiten nur Gutes über Deutschland gehört“, erzählt er. Die Ansprache Merkels habe er damals nicht gekannt.

    „Für mich war es das Land der Möglichkeiten, so wie früher für andere die USA“, erinnerte er sich. „Wie alle Eltern wollten wir für unsere Kinder ein gutes Leben, die Chance auf Bildung und Sicherheit.“

    Da es keinen legalen Weg gab, von der Türkei aus nach Deutschland zu reisen, schlossen sie sich den vielen Flüchtenden an, reisten zuerst mit dem Schlauchboot nach Griechenland und von dort aus zu Fuß weiter. Am Ende ging es mit dem Kleinbus eines Schleppers von Ungarn aus über die Grenze nach München.

    Mittlerweile lebt die Familie seit knapp drei Jahren in einer eigenen Wohnung in Bad Schussenried. „Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen, sowohl von den Ehrenamtlichen als auch von der Stadtverwaltung“, lobt der 35-Jährige das Engagement der Deutschen.

    Schwierig und frustrierend sei es für die Familie allerdings gewesen, dass es mehr als ein Jahr gedauert habe, bis sie als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden - und einen Deutschkurs absolvieren durften.

    Denn, das sei ihm von Anfang klar gewesen, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen, könne er keine Arbeit finden und seine Familie selbst ernähren.

    „Da ich nichts tun durfte, habe ich sehr viel Sport getrieben und viel deutsches Fernsehen geguckt, in der Hoffnung, so schon etwas Deutsch zu lernen“, erinnert er sich.

    Ausbildung oder Studium?

    „Als mir klar wurde, dass jede Ausbildung in Deutschland drei Jahre dauert, habe ich beschlossen, dass ich wieder als Lehrer arbeiten möchte“, erklärt der Syrer. Sein Glück: Die Pädagogische Hochschule Weingarten hatte zu genau diesem Zeitpunkt das IGEL-Programm ins Leben gerufen.

    IGEL steht für „Integration geflüchteter Lehrkräfte in die Lehrerausbildung“. Denn Lehrkräfte sind in Deutschland Mangelware und werden händeringend gesucht. Dass Flüchtlinge unbesetzte Stellen auf dem Arbeitsmarkt annehmen, scheitert jedoch oft an mehreren Hürden.

    Zum einen ist da natürlich die Sprache, die viele oft auch nach Jahren nur rudimentär beherrschen. Zum anderen ist es in vielen Berufen oft unmöglich, Schul- und Berufsabschlüsse aus anderen Ländern anzuerkennen, da die Berufsausbildungen sich sehr unterscheiden. Und viele Flüchtlinge haben auch keine Dokumente, die ihren Bildungsstatus beweisen.
    Erklären, wie deutsches Bildungssystem funktioniert

    Um an dem IGEL-Programm der PH Weingarten teilzunehmen, müssen die Flüchtlinge nachweisen, dass sie Deutsch mindestens auf B2-Niveau sprechen und einen Bachelor in einem Schulfach abgeschlossen haben. Asem Almasry gehörte zu dem ersten Jahrgang des Projekts.

    Zu Beginn absolvierten die Teilnehmer einen Monat lang einen Vorkurs. „Diese vier Wochen dienen dazu, die Studierenden fit für das Studium an einer deutschen Hochschule zu machen – und ihnen zu erklären, wie das deutsche Bildungssystem funktioniert“, erläutert Roswitha Klepser, zuständig für die Koordination des Projekts.

    Danach nehmen die IGEL-Teilnehmer ganz normal an allen Kursen der PH teil, werden dabei jedoch deutlich mehr unterstützt. Mitstudenten, sogenannte Buddys, wiederholen in kleinen Lerngruppen die Studieninhalte mit den Flüchtlingen und lernen mit ihnen auf die Prüfunge.

    „Die große Herausforderung dabei ist, dass die Flüchtlinge zwar schon recht gut Alltagsdeutsch beherrschten, dieses sich jedoch wesentlich von dem wissenschaftlichen Schriftdeutsch unterscheidet, mit dem sie im Studium konfrontiert werden“, sagt Klepser.

    Die Studenten müssten sehr viel Eigeninitiative zeigen und den Prüfungsstoff zuhause und in den Lerngruppen intensiv nacharbeiten.

    Erstes Semester geschafft

    Inzwischen ist das erste Semester zu Ende und Asem Almasry genießt es, in den Ferien wieder etwas mehr Zeit für seine Frau und seinen vier Jahre alten Sohn Yasan zu haben.

    Schade findet er allerdings, dass er jetzt in den Sommerferien nicht arbeiten kann. Denn das Team der PH hatte ihm seinen ersten Job vermittelt, als Hilfslehrer an einer Gemeinschaftsschule.

    Acht Stunden pro Woche begleitete er als zweite Lehrkraft eine Klasse, in der die Kinder einen besonderen Förderbedarf haben. Zum Teil haben die Kinder auch einen Migrationshintergrund.

    Für diesen Minijob erhält er 300 Euro im Monat - sein erstes selbst verdientes Geld in Deutschland. Während des ersten Semesters erhielt er zusätzlich ein kleines Stipendium in Höhe von 200 Euro von der GEW, der Gewerkschaft der Lehrer.

    Denn auf ein normales Bafög hat der 35-jährige Flüchtling kein Anrecht, weswegen seine Familie nach wie vor staatliche Unterstützung bezieht.

    Dass er nun dennoch wenigstens einen Teil zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen kann, macht ihn sehr stolz.

    „Deutschland ist das Paradies der Kinder. Die Deutschen lieben Kinder genauso wie wir“, sagt er. „Darum leben wir sehr gerne hier und hoffen, bleiben zu können. In Syrien wird es auch viele Jahre nach Kriegsende keine Zukunft für uns geben.“

    Unterschrift Foto: „Hier ist es immer so grün, viel mehr, als irgendwo in Syrien.“ Asem Almasry freut sich, jetzt in so einer ruhigen Kleinstadt zu leben. Bild: Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung