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    Im Juli 2015 kam die ersten Flüchtlinge nach Eberhardzell – Helfer ziehen Bilanz

    Eberhardzell, 13.07.2017 (Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung)

    Eberhardzell / sz Menschen, die im Meer ertrinken. Kinder, die völlig erschöpft in Sandalen durch Schnee und Regen wanken, auf der Suche nach einem neuen Leben. Als vor zwei Jahren im Juni/Juli 2015 diese Bilder über die deutschen Bildschirme flimmerten, entfachten sie eine Welle der Hilfsbereitschaft. Auch im Landkreis Biberach. Die ersten Flüchtlinge wurden von Hunderten Ehrenamtlichen willkommen geheißen. Unter ihnen: Susi Ummenhofer und Birgit Falter aus Eberhardzell.

    Die beiden Frauen gründeten im Juli 2015 zusammen mit anderen Ehrenamtlichen einen Helferkreis in Eberhardzell und kümmern sich seitdem – zusammen mit vielen anderen Ehrenamtlichen – um die Flüchtlinge, die im Ort leben. Im Interview blicken die beiden stellvertretend für den Helferkreis auf die vergangenen zwei Jahre zurück.

    Das Bedürfnis zu helfen

    „Ich habe diese Bilder gesehen und wollte einfach nur helfen. Vor allem den Kindern, denn die taten mir am meisten leid“, erinnert sich die 48-jährige Susi Ummenhofer. „Mir war klar, dass diese Menschen auf jeden Fall zu uns kommen würden, also erschien es mir richtig, dafür zu sorgen, dass sie sich auch integrieren“, beschreibt die 50-jährige Birgit Falter ihre Motivation. Nur wenige Wochen nach der ersten Informationsveranstaltung stand der erste Bus mit Asylbewerbern im Dorf. Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Kosovo und Gambia stiegen aus. Einige von ihnen leben bis heute in Eberhardzell.

    Die schnellen Zuweisungen

    Die schnelle Zuweisung und die schiere Masse an Flüchtlingen überforderte in diesen ersten Monaten alle. Die Mitarbeiter des Landratsamts Biberach, die Kommunen, die Helfer. „Es ging damals Schlag auf Schlag und es gab keinen Leitfaden für uns und kaum Hilfe“, erinnert sich die 48-Jährige. Anstatt jedoch auf Anweisungen zu warten, wurden die Ehrenamtlichen selbst aktiv. Sie orientierten sich an der Struktur und Arbeitsweise des bereits existierenden Helferkreis in Reute und legten los.

    Es mangelt an allem

    „Zu Beginn mangelte es an allem. Kleidung, Möbel, Materialien für den Deutschunterricht, alles haben wir selbst organisiert und oft auch bezahlt“, zählt Birgit Falter auf. Täglich seien sie und die anderen Helfer für die Flüchtlinge im Einsatz gewesen. Der Umgang mit den Behörden sei zu Beginn sehr schwierig gewesen. „Dauernd haben sich die Gesetze geändert und die Mitarbeiter im Landratsamt und woanders konnten uns oft keine verlässlichen Auskünfte geben“, erinnert sich Susi Ummenhofer.

    Was bedeutet helfen eigentlich?

    Helfen, so gut es geht – dieser Grundsatz wurde von den Ehrenamtlichen ganz unterschiedlich interpretiert. „Manche von uns gaben alles und brannten sehr schnell aus“, erinnert sich Falter. So hätten einige ihre privaten Handynummer herausgegeben und versprochen, stets erreichbar zu sein – was zur Folge gehabt habe, dass die Flüchtlinge dann auch zu jeder Tageszeit anriefen. „Für mich war immer klar, dass ich mich auch abgrenzen muss, denn jeder von hat ja auch noch einen Job und eine Familie“, stellt Susi Ummenhofer fest, die ansonsten an der Grundschule in der Nachmittagsbetreuung arbeitet.

    Manche Helfer brennen aus

    Manche hätten das nicht geschafft und dann irgendwann das Handtuch geworfen. Andere hätten die Arbeit nach ersten frustrierenden Erfahrungen niedergelegt. Von den anfänglich knapp 50 Helfern sind inzwischen noch knapp 20 übrig. „Es gab und gibt Flüchtlinge, die mit ganz falschen Erwartungen zu uns gekommen sind“, beschreibt Falter das Problem, die beruflich beratend im Finanzwesen tätig ist. „Viele glaubten wirklich, dass in Deutschland ein Haus, ein Auto und ein toller Job auf sie wartet.“ Konfrontiert mit solchen Erwartungshaltungen, kam es zu ersten Konflikten.

    Erste Konflikte

    Auch zwischen den Flüchtlingen kommt es in diesen zwei Jahren immer wieder ersten Spannungen. „Die Idee des Landratsamts, unterschiedliche Kulturen und Religionen gemeinsam in einer Unterkunft unterzubringen, hat in Eberhardzell nicht funktioniert“, sagt die 48-Jährige. „Sunniten und Schiiten, Christen und Muslimen, miteinander verfeindete Klans aus Afghanistan, alle mussten auf einmal unter einem Dach leben“, erklärt sie. „Manche haben uns erzählt, dass sie in der Unterkunft Angst um ihr Leben hätten – denn es gibt auch Rassisten unter den Flüchtlingen“, erzählen die Frauen.

    Falsche Erwartungen

    Als es im Herbst 2015 zu einer Messerstecherei zwischen mehreren Männern in der Gemeinschaftsunterkunft kam, reagiert das Landratsamt. Es verlegt einen der Aggressoren, danach kehrt Ruhe ein. Jedenfalls vorerst. „Bis heute gibt es jedoch immer wieder Konflikte“, berichtet Falter. Erst vor Kurzem habe sich ein Muslim geweigert, mit einem Christen das Zimmer zu teilen. Einzelzimmer gibt es jedoch nicht. „In einem solchen Fall, und auch bei anderen, überzogenen Erwartungen, musst du dann hart bleiben“, stellt Falter fest. „Da ist dein Pass, du kannst jederzeit wieder gehen“, sei ein Spruch, den sie in diesen zwei Jahren nicht nur einmal gesagt habe. Den Flüchtlingen klar zu machen, dass Deutschland ihnen helfe zu überleben, es jedoch hier kein Leben im Überfluss gebe, sei eine wichtige Botschaft.

    Viele positive Erfahrungen

    Dass die beiden Frauen weiter mit dabei sind, liegt an den positiven Erfahrungen und Begegnungen. „Mein Mann ist vor einiger Zeit krank geworden und wir haben eine kleine Landwirtschaft zuhause“, berichtet die Finanzexpertin. Ohne zu Zögern hätten viele der Flüchtlinge, vor allem die Familienväter, ihr bei der Ernte geholfen. „You need help, you call me.“ Auch gebe es immer wieder Einladungen zu Tee und Kuchen, zum Essen – die Neuankömmlinge bringen ihre Dankbarkeit auf verschiedene Weise zum Ausdruck.

    Welche Aufgaben bleiben

    Inzwischen ist es ruhiger geworden. Die Zeit des Ankommens ist vorüber. Heute konzentriert sich die Arbeit der Ehrenamtlichen auf Dinge des Alltags, etwa die Suche nach einer dauerhaften Arbeit oder nach einer eigenen Wohnung. Einige Familien leben bereits nicht mehr in der Unterkunft. Die Kinder gehen ganz normal zur Schule, mehrere der Erwachsenen haben einen Job gefunden. Einige sind Mitglieder in Vereinen.

    Die Gesetzeslage heute

    Was sich die Helfer heute von den Behörden wünschen? „Dass es bei der Entscheidung für ein Bleiberecht mehr um den einzelnen Menschen und nicht nur um die Nationalität geht“, sagt Susi Ummenhofer. „Man sollte uns fragen, wer sich wirklich bemüht und wer sich allem verweigert.“ Doch das sieht die derzeitige Gesetzeslage nicht vor. Flüchtlinge aus manchen afrikanischen Ländern haben so gut wie keine Chance auf ein Bleiberecht. „Wir haben einen jungen Mann aus Gambia, der super integriert ist, er hat eine feste Anstellung, kostet den Staat kein Geld – und trotzdem wird er nun abgeschoben. Das ist extrem frustrierend“, erklärt Birgit Falter.

    Psychologische Betreuung fehlt

    „Gefehlt hat uns eine psychologische Betreuung – nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch und für uns“, sagt die 50-Jährige. „Wir haben viele traumatische Geschichte erfahren, die uns belasten. Es wäre gut gewesen, darüber mit jemandem zu reden. Und auch die Flüchtlinge haben vieles nicht verarbeitet. Wenn sie bei uns bleiben, ist fraglich, ob diese Traumata nicht doch eines Tages an die Oberfläche brechen und was dann passiert.“

    Unterschrift Foto: Gemeinsam kochen, gemeinsam essen – auch das ist Integration. An diesem Tag mit viel Spaß dabei: die Ehrenamtlichen Gabi Müller (hinten) und Conny Frech (Mitte). Bild: privat, ©Schwäbische Zeitung