Der Bachelor–Abschluss von Ahmad Fayez als Ingenieur ist offiziell anerkannt. Das Jobcenter will, dass er zuerst Deutsch lernt, bevor er sich einen Job sucht. Ist das zeitgemäß?
Veröffentlicht:23.08.2023, 17:00
Seitdem die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, wurden mehr als 2000 ehemalige afghanische Ortskräfte von Deutschland aufgenommen. Die Familie von Ahmad Fayaz lebt seit einem Jahr in Maselheim. Der 26–Jährige ist dankbar dafür, eine neue Heimat gefunden zu haben. Doch dass es neun Monate dauerte, bis er an einem Deutschkurs teilnehmen durfte und er diesen erst abschließen soll, bevor er nach einem Job suchen kann, ist nicht nur für ihn schwer zu verstehen. Diese Regelung führt dazu, dass ein auf dem deutschen Arbeitsmarkt dringend gesuchter Ingenieur zwei Jahre untätig zu Hause sitzt.
Das erste Mal treffen wir uns im Januar 2023. Ein Mitarbeiter der Caritas Biberach–Saulgau hat das Treffen arrangiert. Die Eltern von Ahmad Fayaz, Abdul Wasi Dost und Latefa Meeran, empfangen die Besucher in ihrem neuen Zuhause. Ahmad fungiert als Übersetzer, da er als einziger gut Englisch spricht. Sein Vater Abdul Wasi Dost erzählt, dass er in der Ukraine Radiotechnik studiert hat. In Afghanistan arbeitete er in verschiedenen Jobs, zuletzt für die afghanische Regierung. Das Projekt finanziert habe jedoch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) — und damit galt der 53–Jährige als afghanische Ortskraft einer deutschen Hilfsorganisation. Das war für ihn und seine Familie das Ticket für die Einreise nach Deutschland.
So war die Situation vor fünf Monaten
Die 52–jährige Latefa Meeran ist eine bekannte afghanische Malerin. Bis zu ihrer Flucht arbeitete sie als Professorin für Kunst an der Universität Kabul. In Deutschland ist sie nicht das erste Mal. Das Goethe–Institut hatte sie zuvor schon einmal eingeladen zu einem internationalen Austausch. Im Januar 2023 haben nur zwei der Familienmitglieder einen geregelten neuen Alltag: die zwölfjährige Hosna, die eine Vorbereitungsklasse an der Mali–Schule besucht, um Deutsch zu lernen, und ihr 17–jähriger Bruder Ahmad Fayez, der einen Deutschkurs auf der berufsbildenden Gebhard–Müller–Schule belegt hat.
Es wird weitere fünf Monate dauern, bis für die drei erwachsenen Mitglieder der Familie ein Platz in einem Deutschkurs frei wird. Bei dem zweiten Treffen im August 2023 haben Ahmad Fayaz und seine Eltern das erste Modul ihres Deutschkurses an der Volkshochschule Biberach abgeschlossen. Nach den Sommerferien, berichtet der 26–Jährige bei seinem Besuch in der Redaktion der „Schwäbischen Zeitung“, gehe es dann mit Level A2 weiter.
Mehrere Deutschkurse hintereinander
Auch dieser Kurs wird wieder drei Monate dauern. Danach folgen noch zwei weitere Kurse, B1 und B2. Erst dann, so die Auskunft vom Jobcenter, sei er sprachlich fit genug für den deutschen Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist es in Deutschland nahezu unmöglich, einen qualifizierten Job zu finden ohne gute Deutschkenntnisse. Außer, es verschlägt einen in eine Großstadt wie Berlin oder zu einem internationalen Unternehmen.
Da jegliche Software und alle Bedienungsanleitungen auf Deutsch waren, musste mein Verwandter mir zuerst alles übersetzen.
Ahmad Fayaz
Der 26–Jährige wollte dennoch nicht untätig bleiben. Er schickte alle seine Zeugnisse an die zuständige Anerkennungsstelle in Bonn und ließ sich bescheinigen, dass sein Bachelor–Abschluss „Hydraulics and Hydraulics structure“ an der polytechnischen Universität in Kabul einem deutschen Bachelor–Abschluss entspricht. Damit ist eine große Hürde genommen. Vielen Geflüchteten gelingt es nicht, zeitnah einen ihren Qualifikationen entsprechenden Job in Deutschland zu finden, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wird.
Praktikum in München
Kurz darauf gelang es einem Verwandten, seinen Münchener Arbeitgeber davon zu überzeugen, dem jungen afghanischen Ingenieur einen Praktikumsplatz anzubieten. „Da jegliche Software und alle Bedienungsanleitungen auf Deutsch waren, musste mein Verwandter mir zuerst alles übersetzen. Nach ein paar Tagen hatte ich mir aber die wichtigsten Fachwörter auf Deutsch angeeignet und konnte mitarbeiten“, erinnert Ahmad Fayaz sich. Bei dem zweiwöchigen Praktikum stellte er sich so gut an, dass die Firma ihn danach aufforderte, sich offiziell zu bewerben.
„Das konnte ich aber nicht tun, denn inzwischen fing der Deutschkurs an und mir war vom Jobcenter gesagt worden, dass ich diesen auf jeden Fall zuerst fertigmachen soll“, erklärt er. Nebenher zu arbeiten wäre für die nächsten zehn, zwölf Monate nur nachmittags möglich, und das auch nur in der Nähe von Biberach. Dabei wünsche er sich nichts mehr, als sich und seine Familie durch Arbeit ernähren zu können.
Das sagt die ehrenamtliche Betreuerin
Da das Unternehmen jedoch in München sitzt, gibt es noch ein weiteres Problem: Für zwei Jahre muss eine geflüchtete Familie in der Gemeinde wohnen bleiben, der sie zugewiesen wurde. Einzige Ausnahme: Wenn das Familienoberhaupt eine Arbeit findet, mit der er seine Familie ernähren kann. Der 26–Jährige ist aber nicht das Familienoberhaupt, sondern nur der älteste Sohn. Auf ihn setzt seine Familie jedoch ihre ganze Hoffnung.
Wie immer lernen die Kinder die Sprache am schnellsten, da sie in die Schule gehen und dort auf deutsche Kinder treffen.
Cornelia Furtwängler
Cornelia Furtwängler ist Mitglied im ehrenamtlichen Helferkreis Maselheim. Sie betreut die afghanische Familie seit ihrer Ankunft. „Wie immer lernen die Kinder die Sprache am schnellsten, da sie in die Schule gehen und dort auf deutsche Kinder treffen. Hosna hat es inzwischen in eine Regelschulklasse geschafft und auch ihr Bruder hat große Fortschritte gemacht“, erzählt sie. „Die Erwachsenen dagegen haben kaum sozialen Kontakte zu Deutschen und daher keine Gelegenheit, das erlernte Deutsch zu üben und die deutsche Kultur besser kennenzulernen“, so Furtwängler.
Flüchtlinge brauchen mehr Kontakt zu Deutschen
Die Ehrenamtliche ist davon überzeugt, dass es wichtig wäre, dass die Geflüchteten schneller arbeiten und somit Teil der deutschen Gesellschaft werden würden. „Wahrscheinlich kann ein Ingenieur ohne Deutschkenntnisse nicht direkt in seinem Job arbeiten, aber es kann zum Einstieg ja auch erst einmal etwas anderes sein“, findet sie. Darauf angesprochen, bestätigt der 26–Jährige, dass er außer zu den zwei Ehrenamtlichen, die seine Familie besuchen, keine regelmäßigen Kontakte zu Deutschen habe. Außerhalb des Deutschkurses spreche er daher weiterhin fast nur seine Muttersprache. Daher sei das Praktikum für ihn auch so wichtig gewesen.
Ich merke auch oft, dass die Geflüchteten sich nicht vorstellen können, wo all das Geld herkommt, mit dem ihre Wohnungen, der Strom und das Essen bezahlt werden, weil es ein solches Sozialsystem bei ihnen nicht gibt.
Cornelia Furtwängler
In den meisten Fällen dauert es zwei Jahre, bis Geflüchtete grundlegende Deutschkenntnisse besitzen würden und sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewerben. „Das ist ein viel zu langer Zeitraum, um einfach nur zu Hause zu sitzen“, sagt Furtwängler. Vor allem für die jungen Leute, die in der neuen Heimat endlich loslegen wollten.
Wahrscheinlich kann ein Ingenieur ohne Deutschkenntnisse nicht direkt in seinem Job arbeiten, aber es kann zum Einstieg ja auch erst einmal etwas anderes sein.
Cornelia Furtwängler
„Ich merke auch oft, dass die Geflüchteten sich nicht vorstellen können, wo all das Geld herkommt, mit dem ihre Wohnungen, der Strom und das Essen bezahlt werden, weil es ein solches Sozialsystem bei ihnen nicht gibt. Alle sind jedoch stolz auf ihre Heimat, also versuche ich ihnen zu vermitteln, dass ich auch stolz auf meine Heimat und es daher gut wäre, wenn sie sich bei uns einbringen.“ So, wie das System momentan funktioniere, sei das jedoch nicht vorgesehen.
Das sagt das Jobcenter
Wer dauerhaft in Deutschland lebt und arbeiten will, sollte Deutsch können, ganz klar. Gleichzeitig gibt es Unternehmen, in denen Englisch geredet wird — und je früher Geflüchtete selbst Geld verdienen, umso besser für alle. Eine Sprecherin des Jobcenters teilte auf SZ–Anfrage mit, die Behörde verfolge das Ziel, Arbeitsuchenden im Bürgergeldbezug eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es wirke daher darauf hin, dass erwerbsfähige teilnahmeberechtigte Leistungsberechtigte, die nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen, vorrangig an Integrationskurse oder berufsbezogene Sprachkurse teilnehmen.
Es gebe allerdings keine Vorgabe, dass alle Flüchtlinge das B2–Niveau erreichen müssten. Deutschkenntnisse seien für eine erfolgreiche Integration jedoch sehr wichtig, vor allem bei qualifizierten Tätigkeiten. Und sollte jemand eine Ausbildung machen wollen, werde ebenfalls das B2–Niveau empfohlen. Das Jobcenter gebe keine Empfehlung an die Kunden neben dem Sprachkurs nicht zu arbeiten. Es werde im Einzelfall besprochen, ob und wann es sinnvoll sei, mit der Arbeitssuche zu beginnen.
Text und Bild: Katrin Bölstler
Bildunterschrift: Ahmad Fayaz hat einen Bachelor-Abschluss in Ingenieurwissenschaften und würde gerne arbeiten. Bisher mangelt es ihm aber noch an ausreichenden Deutschkenntnissen. (Foto: Katrin Bölstler)