Biberach, 07.04.2022, Karen Annemaier, sz: Das Telefon klingelt gerade häufig bei Galina Gross aus Unlingen. Sie ist in diesen Tagen als Dolmetscherin sehr gefragt. Ehrenamtlich hilft sie Geflüchteten aus der Ukraine und den deutschen Behörden.
Am Nachmittag muss sie wieder los, da kommen knapp 50 Personen in Riedlingen an. Galina Gross hilft beispielsweise beim Ausfüllen von Formularen. Die Menschen aus der Ukraine haben ihre Dokumente dabei, doch die kyrillischen Schriftzeichen kann in Deutschland niemand lesen. Also vermittelt Gross mit dem Know-how aus ihrer ersten Heimat.
Als 15-Jährige kam Galina Gross 2008 mit ihrer ganzen Familie von der Halbinsel Krim nach Deutschland. Ihr Urgroßvater und ihre Opas waren Deutsche gewesen. Doch sie selbst kannte als Kind nur einzelne Worte der deutschen Sprache. Wie alle Ukrainer spricht sie Ukrainisch und Russisch, sagt sie. Ukrainisch und Russisch verhielten sich wie Schweizerdeutsch zu Hochdeutsch. „Alle Ukrainer verstehen und sprechen Russisch, aber die Russen verstehen und sprechen kein Ukrainisch.“ Auch bei den Schriftzeichen gebe es ein paar Unterschiede.
Bis heute hält sie Kontakt zu Freunden auf der Halbinsel Krim. Vor vier Jahren hat sie dort Urlaub gemacht und war erstaunt, wie zufrieden ihre Freunde dort mit der Annexion der Halbinsel durch Putin sind. Seit die Krim zu Russland gehöre, sagten ihre Bekannten, würden dort die Straßen ausgebessert, bekämen die Älteren eine Rente. Jedes Jahr im März werde die Annexion auf der Insel mit einem großen Fest gefeiert, berichtet sie.
Galina Gross kann sich nicht vorstellen, in Russland zu leben. „Wir haben hier einfach andere Gesetze, eine andere Lebensqualität.“ Heute, sagt sie, habe ich „zwei Heimaten“, die Ukraine und Deutschland. Hier fühlt sie sich integriert. Sie hat eine Ausbildung im Postdienst gemacht. Inzwischen Mutter eines kleinen Sohnes, arbeitet sie zweimal wöchentlich in der Sprachförderung an der Munderkinger Förderschule. Und sie übersetzt und hilft, wenn sie angerufen wird. So hat sie neulich für eine neu angekommene Frau in Ertingen in ihrer eigenen Familie Möbel, Kleidung und Lebensmittel gesammelt, sich über den Unlinger Bürgermeister und die Caritas um eine Bleibe für die Frau gekümmert.
„Ich helfe gerne, darum mache ich das“, sagt sie. Und die Menschen, die aus der Ukraine ankommen, tun ihr leid. Neulich hatte sie mit Menschen mit Behinderung zu tun, die auch geflohen waren. Deren Hilflosigkeit habe sie besonders betroffen gemacht. Andere Ankommende möchten am liebsten für immer in Deutschland bleiben, manche älteren Frauen sieht sie vor Heimweh weinen. Kindern dagegen, so ist ihre Beobachtung, macht die Flucht nicht so zu schaffen.
Im Landkreis stehen derzeit etwa 130 ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher in mehr als 30 verschiedenen Sprachen zur Verfügung, berichtet Daniel Poßeckert, Integrationsbeauftragter der Stadt Biberach. Da die meisten Ehrenamtlichen berufstätig seien, erfolgen die Einsätze jeweils individuell nach Vereinbarung. Typische Situationen, in denen sie zur Hilfe gerufen werden, sind je nach Institution unterschiedlich.
Eingesetzt werden sie bei Terminen im Landratsamt (wie Jugendamt, Jobcenter, Amt für Flüchtlinge und Integration), in den Kommunen, bei Beratungsgesprächen der Wohlfahrtsverbände, bei der Wohnungslosenhilfe Biberach oder bei Elterngesprächen in Schulen. Voraussetzung für eine Tätigkeit als ehrenamtlicher Dolmetscher sind gute Deutschkenntnisse und der Besuch einer Einführungsschulung. „Ehrenamtliche mit ukrainischen Sprachkenntnissen werden derzeit auch ohne Schulung aufgenommen, sofern sie über gute Deutschkenntnisse verfügen“, teilt Poßeckert weiter mit.
Sprachlich ist der Pool insbesondere in den Sprachen Arabisch, Englisch und Russisch gut aufgestellt. Aktuell gibt es Bedarf für Ukrainisch sowie für Sprachen aus weiteren osteuropäischen EU-Ländern wie Bulgarisch, Polnisch oder Kroatisch.
Foto: Michael Buholzer
Bildunterschrift: Weil Geflüchtete aus der Ukraine kein Deutsch sprechen, werden ehrenamtliche Übersetzer gesucht.