Oggelsbeuren sz
Wenn in Oggelsbeuren die vorläufige Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Kontingent des Landkreises Biberach Ende dieses Jahres ausläuft, muss die Arbeit dort in anderer Form weitergehen. Das meinen die Verantwortlichen der Stiftung Heimat geben, und das meint Christoph Funk, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Mettenberg. Er wirkt in einer Steuerungsgruppe mit, die Überlegungen zum Aufbau eines Traumatherapiezentrums für Flüchtlinge verfolgt.
Die Pläne, von Stiftungsvorstand Pater Alfred Tönnis vor Weihnachten 2016 ventiliert, stehen ganz am Anfang: Die erste Sitzung der Steuerungsgruppe steht erst bevor. Aber dass ein solches Angebot aus fachlicher Sicht für viele Flüchtlinge notwendig und für die Gesellschaft eine lohnende Investition wäre, davon ist Funk überzeugt. „Es gibt Schätzungen, dass 70 bis 90 Prozent der Flüchtlinge traumatisiert sind“, sagt der Mettenberger unter Verweis auf fachliche Veröffentlichungen. Sei es, dass sie in ihrem Heimatland Krieg oder Misshandlung erlebt haben oder auf dem Fluchtweg in schwierige Situationen gekommen sind. Nach der Ankunft in ihrem Hoffnungsland seien sie oft neuen Unsicherheiten ausgesetzt, auch das könne belastend sein.
All das mache sich am Anfang meistens nicht bemerkbar, sagt Funk, und manchmal auch später nicht: Zwei von fünf Betroffenen steckten die schlimmen Erfahrungen unbeschadet weg. Bei anderen kommen die Erlebnisse des ohnmächtigen Ausgeliefertseins aber wieder hoch: „Man hört von vielen, dass sie enorme Schlafstörungen haben“, sagt Franziska Funk, die sich sogar schon länger als ihr Mann ehrenamtlich in Oggelsbeuren engagiert. Christoph Funk hat auch bei seiner Arbeit im Medizinischen Versorgungszentrum der diakonischen Einrichtung Mariaberg (Kreis Sigmaringen) den Eindruck gewonnen: „Viele Flüchtlinge gehen mit körperlichen Beschwerden zum Allgemeinarzt, aber oft stecken dahinter seelische Probleme.“
Unbehandelt könnten sich diese zu anhaltenden Angstzuständen auswachsen bis hin zu Depressionen mit Suizidgefährdung. Mancher flüchtet sich in Alkohol oder Drogen. „Posttraumatische Belastungsstörung ist ein anerkanntes Krankheitsbild“, sagt Funk, mit Alpträumen, Erregungszuständen und dem Versuch, bestimmte Situationen zu vermeiden. Es sei daher gerade das Falsche, Betroffene im Alltag direkt auf ihr Trauma anzusprechen. Verarbeiten könnten diese es nur in in einer Therapie.
Voraussetzung für eine solche sei indes „Sicherheit im Alltag“. Und gerade das vermöge Oggelsbeuren zu vermitteln, so Funks Erfahrung aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit dort: „Das ist schon ein tolle Einrichtung“ mit dem richtigen Mix aus Privatsphäre und Gemeinschaftsangeboten und mit einem Nationalitätenmix, der zum Deutschsprechen anregt. Und: „Das Angenommensein ist wichtig für die Therapie.“
Wie ein Traumatherapiezentrum konkret aussehen und wie es finanziert werden könnte, ist offen. Aber wenn Funk sich etwas wünschen dürfte, würde er es mit Bildungsangeboten verknüpfen. Zum einen kämen gerade viele Afrikaner mit geringer formaler Schulbildung, sagt Funk. Sie könnten hier Deutsch lernen und ihre Allgemeinbildung verbessern. „Mit solchen integrativen Hilfen kann man vieles und viele erreichen“, ist er überzeugt.
„Psychotherapie kein Begriff“
Zum anderen „kann man sowieso nicht den ganzen Tag Therapie machen, man muss auch noch etwas anderes anbieten“. Und ein dritter Grund spricht in seinen Augen dafür, beides zu verknüpfen: In einigen Kulturkreisen, aus denen Flüchtlinge kommen, „ist Psychotherapie kein Begriff“. In einer Bildungseinrichtung, in der besonders belastete Menschen befristet wohnen, „könnten wir zusätzlich Therapie anbieten“.
Dabei ist nicht alleine an Fachärzte wie Funk zu denken. Schon bisher gibt es in Oggelsbeuren kunsttherapeutische, für Kinder spielerische und für Mütter ganz einfach Gesprächsangebote. Es müsse nicht zwingend eine Individualtherapie sein. „Es gibt an der Uni Ulm ein interessantes Projekt“, sagt Funk, mit dem zum Beispiel Pädagogen befähigt werden sollen, Gruppentherapien für fünf bis sechs Leute anzubieten. „Da ist viel in Bewegung, wir lernen alle noch dazu“, sagt der Facharzt. Ideen gibt es also, aber noch viel zu tun und reichlich Gesprächsstoff für die Steuerungsgruppe.
Der Unicef-Tag am Samstag, 25. März, im Kongresszentrum CCU und im Maritim-Hotel in Ulm ist dieses Jahr speziell der psychischen Gesundheit von traumatisierten jungen Flüchtlingen gewidmet.
Der Unicef-Tag ist Teil des mehrtägigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Am 25. März von 9 bis 10.15 spricht Professor Martin Teicher von der Harvard-Universität in den USA über „Die Auswirkungen psychologischer Traumata in Fluchtsituationen“. Es folgen mehrere Symposien und Foren über Therapieansätze in der Traumatherapie, praktische Hilfe für Helfer, Qualifizierungsprojekte und interkulturelle Verständigung für Fachärzte, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Um 19.30 Uhr beginnt eine öffentliche Veranstaltung zu dem Themenschwerpunkt im Stadthaus Ulm. Informationen gibt es unter www.dgkjp-kongress.de/unicef-tag
Unterschrift Foto: Es gibt Schätzungen, dass 70 bis 90 Prozent der Flüchtlinge traumatisiert sind“, sagt Christoph Funk, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie aus Mettenberg Bild: imago stock&people, ©Schwäbische Zeitung