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    In Attenweiler entsteht gerade ein Kunstwerk, das in Biberach aufgestellt wird

    Attenweiler, 20.06.2015 (mad)
    © Schwäbische Zeitung

    Einige Flüchtlinge im Kreis Biberach sind auf einem jener „Tagesschau“-bekannten Boote übers Mittelmeer gekommen. Ob so oder anders, mancher kennt einen anderen, der es nicht geschafft hat, der ertrunken oder auf andere Weise ums Leben gekommen ist. Nicht nur am Weltflüchtlingstag (20. Juni) trauern und fürchten viele um Angehörige und Freunde – und mit ihnen die ehrenamtlichen Betreuer. Für sie alle schafft die ökumenische Flüchtlingsarbeit nun einen Ort des Gedenkens. Das Kunstwerk entsteht gerade in Attenweiler und wird in Biberach aufgestellt.

    Melina Braß und Joshua Glaser spannen im Atelier Holzplanken mit Schraubzwingen auf eine Rundform. Die gebogenen Hölzer verwenden die Künstler für eine Bootswand. Ein paar Planken zerbrechen sie, denn eine löchrige Barke haben sie als Ausdrucksform gewählt – für den Untergang wegen des zerborstenen Rumpfs oder für die Hoffnung wegen der intakten Seite, das mag der Betrachter entscheiden. Aus dem Boot ragt ein nach alter Sitte aufgestelltes Totenbrett mit einer aufgemalten Hand. Wie die Hand eines Ertrinkenden aus dem Wasser, die nach Hilfe greifende, die ausgestreckte oder die gen Himmel weisende Hand – das Werk gibt schon im unfertigen Zustand Raum für viele Assoziationen.

    Ein Symbol für alle Schicksale

    „Das sind allgemein gültige Symbole“, sagt Joshua Glaser, sie sagten Menschen aller Religionen etwas. Pfarrer Matthias Ströhle, auf evangelischer Seite federführend für die Flüchtlingsarbeit im Kirchenbezirk zuständig, erkennt darin ein gutes „Zeichen für das, was Flüchtlinge erleben“ – ganz egal, ob sie auf dem Seeweg oder Landweg kommen, ob sie im Meer oder im Schutt zerbombter Häuser ertrinken. „Keiner soll sich ausgeschlossen fühlen“, sagt Ströhle. Die Gedenkstätte soll für alle sein, „die auf der Flucht ihr Leben verloren haben oder in ihrem Leben angegriffen wurden“.

    Dass ein solcher Ort nötig wäre, kam dem Roter Pfarrer in den Sinn, als er Fernsehbilder von den Dramen im Mittelmeer sah. Und dann die Erzählungen von einem ehrenamtlicher Helfer hier vor Ort, der dabei war, als ein Flüchtling die Nachricht vom Tod eines Angehörigen bekam. „Das sind dann keine fernen Bilder, keine abstrakten Zahlen mehr“, sagt Ströhle. Lucia Braß vom Caritas-Migrationsdienst ergänzt: „Nicht nur von Flüchtlingen kamen Hilferufe, auch für die ehrenamtlichen Helfer ist ein Ort der Trauer nötig.“

    Die beiden gingen auf die jungen Künstler zu. „Ich finde es bemerkenswert, dass sie sich so einsetzen, Zeit einbringen und ein Stück Weg mit den Flüchtlingen gehen“, sagt Ströhle. Seit mehreren Wochen arbeiten die 18-jährige Melina Braß und der 19-jährige Joshua Glaser an der Skulptur. Die Skizze stammt von Melina Braß. „Ich hatte die Idee im Kopf, konnte sie aber alleine nicht umsetzen“, sagt die 18-Jährige. In Joshua Glaser hat sie einen „Holz-Spezialisten“ als künstlerischen Mitstreiter an der Seite, und im Attenweiler Atelier von Marlis Glaser gibt’s reichlich Platz, Werkzeuge und den einen oder anderen Tipp von der Hausherrin.

    Flüchtlinge steuern Texte bei

    Doch die Gedenkstätte entsteht nicht im stillen Kämmerlein. Zur Projektgruppe gehört außer allen Genannten und Andreas Gratz (Caritas) noch Musa Sonko. Der 30-Jährige aus Gambia hat „einen guten Draht zu vielen anderen Flüchtlingen“ in der Gemeinschaftsunterkunft in der Bleicherstraße in Biberach und in Oggelsbeuren. Musa Sonko hat von vielen Schicksalsgenossen Texte gesammelt. Was sie an Ängsten und Sehnsüchten umtreibt, soll bei der Einweihung vorgetragen werden. Ein Destillat daraus wird auf Deutsch, Englisch und Arabisch das Kunstwerk vervollständigen: „Auf der Suche nach Geborgenheit, nach Freiheit und nach Frieden“, in diesem Schriftzug finden sich Religionen und Nationalitäten wieder.

    Zudem kam aus den Gesprächen „die Rückmeldung, dass der Alte Katholische Friedhof in Biberach der richtige Ort der Stille ist, egal für welche Religion“, berichtet Lucia Braß. Die Nähe zur Bleicherstraße spricht dafür und schließlich seien in der Trauer alle Kulturen vereint. Bei der Stadt Biberach, mit Reiner Hansbauer in der Projektgruppe vertreten, sei man auf offene Ohren gestoßen. Die Friedhofsverwaltung unterstützt die Sache nicht nur beim Erstellen des Fundaments tatkräftig.

    Der Weltflüchtlingstag

    Die Vereinten Nationen haben den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. In vielen Ländern wird an diesem Tag mit Aktionen auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam gemacht. Die Flüchtlingsorganisation UNHCR veröffentlicht an diesem Tag ihren Jahresbericht. Schon zuvor gab es viele kirchliche und nationale Aktionstage und das Datum geht auf zuvor existierende Afrika-Flüchtlingstage zurück. Informationen: www.unhcr.de

    Der Einweihungstermin für die Gedenkstätte wird rechtzeitig bekannt gegeben.

    Unterschrift Foto:
    Noch ist das Kunstwerk für die Gedenkstätte nicht fertig, doch die Idee ist bereits zu erkennen: Mit einer Holzbarke, auf der der Kamera zugewandten Seite beschädigt, und der nach Hilfe greifenden Hand auf einem Totenbrett wollen die Künstler Melina (Anm: Rest fehlt)
    Foto: Markus Dreher, ©Schwäbische Zeitung

    Originalartikel auf sz-online:
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    Arbeitsgruppe Gedenkstätte Biberach des Freundeskreises Asyl Biberach 2015

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