Beeindruckend war die Zuhörer-Kulisse am Mittwochabend für die beiden jungen Syrer Ahmad und Mohammad im Riedlinger Kino. Einschließlich der Empore war es voll besetzt und es strömte den Flüchtlingen viel Sympathie entgegen und Bewunderung, in welcher Weise sie in gutem Deutsch ihr Land vor und während des Bürgerkrieges darstellten – die Konfliktparteien, die Entscheidung zur Flucht, ihren Weg nach Deutschland, ihr Ankommen, ihre positiven Empfindungen, aber auch ihre Irritationen und Erwartungen.
„Überwältigt vom Interesse“ zeigte sich denn auch Helene Kopf von der ökumenischen Flüchtlingsarbeit der Caritas Biberach-Saulgau. Zusammen mit der Integrationsmanagerin der beiden Syrer, Johanna Traub, hatte sie die beiden bei ihrem Vortrag unterstützt. Der war aufgrund der Erkenntnis entstanden, dass sich das Bild der Geflüchteten zum Negativen verändert habe. Die beiden jungen Männer wollten dem entgegenwirken.
Sie schilderten Syrien als ein multikulturelles und multireligiöses Land, in dem die Menschen verschiedener Konfessionen keine „Probleme mit dem Zusammenleben“ hatten. Zehn Prozent der Syrer seien Christen, sie selber sind Muslime, wie die Mehrheit der Syrer. Sie schwärmten von Syrien als „erster Zivilisation der Geschichte“ mit der Entwicklung eines Alphabets, wiesen auf – inzwischen weitgehend zerstörte – Sehenswürdigkeiten der Antike, wie Palmyra, hin und bezeichneten Erdöl, Textilien und die Landwirtschaft als tragende – vom Staat gelenkte - Wirtschaft.
Raketeneinschlag auf dem Campus
Sie nahmen ihre Zuhörer anhand einer Powerpoint-Präsentation mit in den Krieg, der bis heute andauert und viele Teile des Landes zerstört hat. „Wir hatten 2015 nur zwei Möglichkeiten“, sagte Ahmad, der in Syrien ein Modegeschäft betrieb, „mit Assad gegen unser eigenes Volk zu kämpfen oder unser Land zu verlassen.“
Mohammad schilderte, dass er nach einem Raketeneinschlag auf dem Campus sein Studium der Wirtschaft abbrach. Statt des vorgegebenen Weges zum syrischen Militär entschloss er sich zur Flucht und setzte mit 25 Menschen in einem Schlauchboot auf die griechische Insel Samos über, voller Angst. Über Mazedonien und Serbien gelangte er nach Ungarn. Um dort nicht erkennungsdienstlich erfasst zu werden und dann in Deutschland keinen Asylantrag mehr stellen zu können, versteckte er sich während der Nacht mit anderen in einem Maisfeld. Ungeschützt waren sie einem Gewitter ausgesetzt, froren und waren nass, so dass sie sich um 6 Uhr „verzweifelt“ aus ihrem Versteck wagten. Sie hatten Glück, kamen an eine Tankstelle und wollten sich von dort mit einem Taxi nach Deutschland chauffieren lassen. In Deutschland brachten Polizisten sie in ein Flüchtlingslager in München. Das Erstaufnahmelager in Ellwangen folgte, ehe er nach Riedlingen in die Gemeinschafts-Unterkunft in der Gammertinger Straße kam.
Ihm, wie auch Ahmad, war klar, dass das Erlernen der deutschen Sprache größte Notwendigkeit ist. Beide starteten damit auf Eigeninitiative, bis Deutsch-Kurse bewilligt wurden. Mohammad hat es bis zur Zulassung zum Studium geschafft und studiert jetzt in Sigmaringen Betriebswirtschaftslehre. Ahmad belegte einen Dolmetscherkurs und bekam leuchtende Augen, als er von einer Informationsreise nach Berlin berichtete.
Über die Balkanroute
Er kam ebenfalls mit Schleusern per Boot nach Griechenland und machte sich über die Balkanroute auf nach Deutschland. In Serbien wurde er überfallen. „Selbst meine Brille wurde gestohlen“. Über Ellwangen kam auch er nach Riedlingen und schilderte die Wohnsituation als nicht einfach: zu viert oder fünft in einem Zimmer, Sanitäranlagen im Hof, die Küche im anderen Gebäude. „Aber wir waren glücklich“. Am Anfang hätten sie sich sehr willkommen gefühlt, wobei ein Brandanschlag auf Mülleimer und Schmierereien ängstigten. Nach dem Integrationskurs schrieb er viele Bewerbungen, machte drei Praktika und begann 2017 eine Elektro-Lehre, die er nach sechs Monaten allerdings abbrach. Jetzt arbeitet er in einer Firma in Langenenslingen. Für die Zukunft hat er „andere Träume und Ideen“, welche, verriet er nicht.
Was den Syrern in Deutschland gefällt? Die Pünktlichkeit, die Verkehrsnetze, die Garantien des Grundgesetzes, wie freie Meinungsäußerung, die Natur und die leckeren Brotsorten. Mohammad weiß hierüber Bescheid, hat er doch einen Mini-Job in einer Bäckerei. Weniger zurecht kommen sie mit dem Wetter, der Mülltrennung, langen Wartezeiten bei Ärzten oder Behörden.
Die Bedeutung der Familie für die Syrer wurde deutlich, die Gastfreundschaft. Als Muslime leben sie ihre Religion. Sie luden in das Haus des Kuba-Kulturvereins in der Hindenburg-Straße ein, wo sie sich freitags treffen. Dort findet am ersten Samstag im Monat ein Frauenfrühstück statt. Hierzu sind deutsche Frauen willkommen.
Aufräumen wollten die Syrer mit Vorurteilen gegenüber ihrem Heimatland, dass es dort keine Autos gäbe, sondern man nur auf Kamelen reite, aber auch ihrem Hiersein, „dass wir nur herumsitzen und Sozialhilfe kassieren“. Dabei wollten sie arbeiten oder studieren. Als Herausforderung erkannten sie die Sprache und vor allem den schwäbischen Dialekt, die Bürokratie mit der Amtssprache, die Formen der Begrüßung. Dass sie Angst um ihre Familien haben, machten sie in der folgenden Diskussion deutlich. Mohammads Vater starb 2016 nach einem Raketenabwurf, Ahmads Vater arbeitet im Ausland. Eine Rückkehr nach Syrien sei während des Assad-Regimes unmöglich.
Ihre Botschaft: Die Integration der Flüchtlinge setze Hilfe voraus, wobei sie sich „sehr dankbar“ für den Einsatz der Ehrenamtlichen in Riedlingen zeigten. Dennoch vermissen sie den Kontakt zu Einheimischen. „Integration von einer Seite geht nicht“. Dass Deutschland sie nach ihrer Flucht willkommen geheißen habe, das vergäßen sie nicht. „Danke Deutschland!“ Was sie sich wünschen? „Ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden, ohne ihre Religion und Kultur aufgeben zu müssen“, wobei sie immer wieder betonten, dass die deutschen Gesetze einzuhalten seien.
Unterschrift Foto: Die beiden Syrer, die aus Angst um ihre Familien nicht erkannt werden wollen, im Gespräch mit ihrer Integrationsmanagerin Johanna Traub, Günther Aichele vom Kreis Freunde für Fremde, Helene Kopf von der Caritas und Carina Straub, Leiterin des Sozialdienst Bild: Waltraud Wolf, ©Schwäbische Zeitung