Biberach dpa/lsw
Was will Farschid in Deutschland machen? „Lernen, lernen, lernen“, sagt er. Der 17 Jahre alte Afghane ist einer von gut 60 000 unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland. Eine Schule hatte er kaum besucht, seine Eltern sind tot. Doch nun geht er zum Unterricht — und auch eine neue Familie hat er gefunden. Statt in einer Wohngruppe oder einem Heim ist er seit fünf Wochen bei Mabel Engler und Peter Grunwald im oberschwäbischen Biberach bei Ulm untergekommen. „Er hat immer seinen Block dabei. Wenn wir gemeinsam essen, liegt er daneben“, sagt Pflegemutter Engler. Mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge bemühen sich die Kommunen um Pflegefamilien für die Minderjährigen. Das kann Halt geben — stellt aber Ansprüche an alle Seiten.
Erst gut drei Monate ist Farschid im Land, doch er kann sich schon verständigen. „Ich liebe es, Deutsch zu sprechen“, sagt er. Farschid, der eigentlich anders heißt, sitzt im Café seiner Zieheltern in der Altstadt. Draußen ist es nasskalt, doch er trägt Flipflops an den nackten Füßen. In Afghanistan war er größere Kälte gewöhnt. Das Café sei sein zweites Zuhause, sagt Engler. Hier soll auch ein Treffpunkt für Pflegeeltern entstehen. Schon lange ist die Sozialpädagogin im Kinderschutzbund aktiv, in der Gegend gut vernetzt. Im Kreis Biberach gibt es rund 40 Familien, die einen Flüchtling aufgenommen haben. Man habe früh mit der Suche begonnen, heißt es vom Landratsamt.
„Man muss sich aber auf jemanden einlassen können“, warnt Engler. Vieles seien die jungen Flüchtlinge nicht gewöhnt: Den Überfluss, die Regeln, das Familienbild. In Afghanistan aß Farschid dreimal am Tag Brot, mal mit etwas Tee, mal mit einer Kartoffel. „Wie soll ich erklären, dass es hier Taschentücher, Toilettenpapier und Küchenrolle gibt?“
Vorher gab es ein Gespräch mit Farschid, dem Jugendamt und einem Dolmetscher. Dann zog der Junge ein. Wichtig sei die Prüfung in jedem Einzelfall, betont Niels Espenhorst, Referent beim Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Nicht für jeden sei eine Familie die richtige Lösung — zudem blieben viele nur kurz bei Gasteltern, weil sie fast volljährig seien. Doch solange er da ist, wollen Engler und Grunwald ihrem Ziehsohn Struktur bieten. Im kleinen Haus mit dem großen Garten hat er sein Zimmer. Er geht zur Schule, bekommt Nachhilfe in Deutsch und Mathe. Daneben haben sie Gitarren-Unterricht organisiert, eine Karate-Gruppe, auch beim Improvisations-Theater soll er mitmachen. Er soll Kontakte knüpfen, die deutsche Gesellschaft kennenlernen. „Er weiß etwas mit sich anzufangen“, sagt Grunwald.
Unterschrift Foto: Mabel Engler und ihr Partner Peter Grunwald haben ein Pflegekind aus Afghanistan. Seit einem Monat ist der unbegleitete minderjährige Flüchtling bei den beiden untergebracht. Bild: , ©dpa