Arbeit ist der beste Weg zur Integration. Darin sind sich Politik und Wirtschaft grundsätzlich einig. Deshalb waren Unternehmer wie Antje von Dewitz, die Chefin des Outdoorbekleiders Vaude, sofort bereit, Verantwortung zu übernehmen, als die Kanzlerin um Hilfe bat, jene Flüchtlinge unterzubringen, die in den Jahren 2015/16 vermehrt nach Deutschland strebten. Inzwischen ist ein großer Teil dieser Menschen ein elementarer Bestandteil dieser Unternehmen. Nun sollen viele davon abgeschoben werden. Nicht nur die geleistete Integrationsarbeit wird damit zunichte gemacht, den engagierten Unternehmen droht auch ein nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Schaden durch den Verlust dieser Arbeitskräfte.
Da Antje von Dewitz mit diesem Problem nicht alleine ist, hat sie zusammen mit Gottfried Härle von der gleichnamigen Brauerei in Leutkirch (Kreis Ravensburg) eine Initiative gestartet, deren Sorgen bei einem Gespräch mit Baden-Württembergs Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, Thomas Strobl (CDU), auf offene Ohren stießen: „Ich nehme die Sorgen der Wirtschaft sehr ernst“, sagte er und signalisierte auch Bereitschaft, an einer Lösung zu arbeiten – auf Landes- sowie auf Bundesebene.
Die Unternehmer-Initiative, die laut Positionspapier „ein Bleiberecht für Geflüchtete mit einem festen Arbeits- oder Ausbildungsplatz“ fordert, ist binnen weniger Wochen auf rund 80 Unternehmer und Handwerker sowie drei Verbände aus ganz Baden-Württemberg angewachsen. Sie eint ein Problem. Sie haben nicht nur Flüchtlinge in ihren Betrieben aufgenommen und ausgebildet. Sie haben diesen Menschen darüber hinaus geholfen mit Behördengängen, mit Deutschkursen und so weiter.
„Wir haben die Ärmel hochgekrempelt. Wir haben Verantwortung übernommen, als Frau Merkel uns darum gebeten hat“,
erzählt von Dewitz.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) im Winter 2015/16 die deutschen Unternehmen um Hilfe bei der Integration von Flüchtlingen gebeten hatten, „habe ich gedacht, ja, das ist das Richtige“, so von Dewitz. Damals sei die Rechtslage unklar gewesen, kein Amt konnte Auskunft geben, welche Perspektiven die nach Deutschland Geflüchteten haben oder welches Land als sicheres Herkunftsland gelte, erinnert sich von Dewitz.
Doch die damals überforderten Verwaltungsstellen sind inzwischen dabei, die Asylanträge abzuarbeiten – und bei einer Ablehnung auch die Abschiebung durchzusetzen. Und nun trifft es auch jene, die sich unbefristete Beschäftigungsverhältnisse erarbeitet haben, die Sozialabgaben leisten, die in die Rentenkasse einzahlen, die zu Leistungsträgern in den Unternehmen geworden sind. Jetzt fühlen sich die Unternehmer im Stich gelassen. „Wir können doch nicht für unser Engagement bestraft werden“, fasst es von Dewitz zusammen.
Dabei geht es nicht nur um Fachkräfte, um den belastenden Fachkräftemangel zu lindern. Es geht auch um Helferjobs, um einfache Tätigkeiten, „die nicht mit einem deutschen Arbeitnehmer zu besetzen sind“, wie Markus Winter, Chef des Industriedienstleisters IDS aus Unteressendorf (Kreis Biberach), weiß. Mit 82 beschäftigt er die meisten Flüchtlinge innerhalb der Initiative und ist auch dementsprechend betroffen von drohenden Abschiebungen.
Um dieses Problem zu lösen, sehen die Initiatoren die Politik in der Pflicht. Sich dieser Pflicht entziehen, das will der baden-württembergische Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration nicht. „Ich bin nicht der Typ, der sagt, wenden Sie sich an Ihre Bundesabgeordnete“, sagte Strobl bei dem Treffen am Freitag. Dem Handwerk sei man ja schon entgegengekommen, indem man die Drei-plus-Zwei-Regel auf die Berufsfachschule erweitert hat. Die Regelung sieht vor, dass Flüchtlinge nach drei Jahren Ausbildung und zwei Jahren Anstellung ein Bleiberecht erhalten. Strobl signalisierte Bereitschaft, diese Regel auch auf einjährige Ausbildungen zu erweitern. Beispielhaft hier ist die Ausbildung zum Altenpfleger, bei der die Regel greift, aber nicht bei der zum Altenpflegehelfer. Die Regelung weiterzufassen, „ist sinnvoll“ so Strobl, nicht nur im Bereich der Altenpflege, wo die Not am größten sei.
„Wir prüfen in den nächsten Wochen, wo juristische Spielräume sind“, versprach er. Gleichzeitig stellte der Minister klar, sich an das geltende Asylrecht zu halten und dieses durchzusetzen. Besonders bei der Mitwirkung der Identifikationsfindung „kann es es keinen Rabatt geben“. Dazu gehören offizielle Dokumente wie ein Reisepass. Beispielsweise für Gambier ein großes Problem. „Ich habe ein Schreiben vom gambischen Generalkonsul, dass Pässe nur im Land selbst ausgestellt werden“, erklärt Gottfried Härle die finanzielle, bürokratische und organisatorische Hürde für Flüchtlinge. Die Anerkennungsquote für Gambier liegt derzeit bei unter einem Prozent.
Eine Möglichkeit könnte sein, Gambia als sicheres Herkunftsland einzustufen. Doch das löst nicht ein grundlegendes Defizit in der Gesetzgebung der Bundesrepublik. „Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz“, so Strobl, denn er wolle nicht hinnehmen, dass das Asylrecht ausgehöhlt werde, um darüber den Weg in den deutschen Arbeitsmarkt zu finden. Wer Schutz in Deutschland suche, werde nicht nach seinem Nutzen beurteilt, so der CDU-Politiker.
„Unser Land ist nicht nur so schön und für andere attraktiv, weil wir eine so tolle Wirtschaft haben, sondern weil wir ein Rechtsstaat sind“, sagte Strobl. Aber Recht sei nicht statisch und besondere Lagen, wie die von 2015/16, als die Regierung die Wirtschaft um Hilfe bat, erfordern auch eine besondere Betrachtung.
Der Druck, die Argumente und die gewährte Hilfe der Unternehmen zeigen Wirkung. Er habe verstanden, sagte Strobl. Zwar sei Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) bei der Einwanderungsgesetzgebung gefragt, aber ein Land von der Bedeutung Baden-Württembergs sei in der Bundespolitik relevant. Deshalb werde man bei der Erarbeitung eines solchen Gesetzes entsprechend mitwirken. Doch das kann dauern. Und bis dahin wird weiter abgeschoben. „Eine kurzfristige Lösung habe ich auch gar nicht erwartet“, sagte Antje von Dewitz nach dem Gespräch im Ministerium – aber immerhin bewege man sich aufeinander zu.
Unterschrift Foto: Rageeb Ghamshareek (links) und Markus Winter. Der Chef des Indusriedienstleisters IDS wehrt sich dagegen, eingelernte und integrierte Flüchtlinge wie Ghamshareek durch Abschiebungen zu verlieren. Bild: drs, ©drs