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    Wie man in Vorarlberg mit jugendlichen Flüchtlingen umgeht

    Überregional, 09.04.2016 (Christoph Plate, ©Schwäbische Zeitung)

    Bregenz sz
    Das Haus Said in Bregenz ist ein Prachtbau, auf einem Hügel über dem Stadtzentrum gelegen. Vom Küchenfenster des weißen Hauses aus ist das Landhaus zu sehen, der Sitz der Vorarlberger Landesregierung. Erst seit wenigen Monaten heißt die hochherrschaftliche Villa Haus Said, seit 37 Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und Ägypten dort eingezogen sind und das alte Mobiliar herausgeschleppt wurde. Das Gebäude gehört dem Bistum, die minderjährigen Flüchtlinge werden rund um die Uhr von Mitarbeitern der Caritas betreut. Die Jugendlichen, mehrheitlich Muslime, sind auf abenteuerlichen Wegen hierhergekommen. Manchmal fragen sie nach der Bedeutung christlicher Feiertage. An dem riesengroßen gekreuzigten Christus aus Holz, der im Treppenhaus hängt, störten sie sich rein gar nicht, hat die Unterkunftsleiterin Margaritha Matt beobachtet.

    Die meisten Flüchtlinge im Haus Said, dem arabischen Wort für „der Glückliche“, stammen aus Afghanistan und erklären, sie seien von den radikalislamischen Taliban verfolgt worden. Aber so wie in Deutschland werden auch in Österreich längst nicht alle Flüchtlinge aus Afghanistan von den Behörden anerkannt. „Ungemein wichtig ist es, dass wir den vielen Freiwilligen, die hier tätig sind, immer wieder erklären, aus welchen Kriegsgebieten die Flüchtlinge kommen“, sagt Matt. Ähnlich wie im Südwesten Deutschlands hat es auch in Vorarlberg eine Welle der Hilfsbereitschaft gegeben. Doch anders als etwa in Ravensburg, wo man versucht, möglichst viele unbegleitete Minderjährige in Patenfamilien zu vermitteln, hat man diese in Vorarlberg zunächst in Wohngemeinschaften von bis zu zwölf Jugendlichen untergebracht. Seit 2014 hat sich die Zahl der minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge in Vorarlberg auf 200 vervierfacht.

    Erhaltung des gesellschaftlichen Konsens am wichtigsten

    Als der Platz und das Personal nicht mehr ausreichten, entschloss sich die schwarz-grüne Landesregierung zur Unterbringung in größeren Einheiten wie dem Haus Said. Die zuständige Landesrätin, in Deutschland hieße sie Landesministerin, Katharina Wiesflecker, sagt, man habe in der schwarz-grünen Koalition, die seit knapp zwei Jahren in Bregenz regiert, mühsam gelernt, die „Unterschiedlichkeit auszuhalten“. So hatten etwa die Grünen befürchtet, viele Jugendliche an einem Ort unterzubringen, schaffe Probleme. Der Koalitionspartner hielt dagegen, das Zusammenleben funktioniert wunderbar. Der gesellschaftliche Konsens sei den Regierungsparteien wichtig, darum würden auch alle vier Wochen die Fraktionsspitzen im Landesparlament über Entwicklungen informiert, auch die Oppositionsparteien FPÖ und SPÖ. Der grüne Landesrat Johannes Rauch, er ist auch Stellvertreter des Landeshauptmanns, sagt, das Wichtigste bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage sei die Erhaltung des gesellschaftlichen Konsens. „Und in Österreich“, sagt seine Kabinettskollegin Wiesflecker, „gehören wir in Vorarlberg zum Spitzenfeld der Hilfsbereiten“.

    Traumata bei den Betreuern

    Die Freiwilligen aus Bregenz und Umgebung wollen mit Kriegsflüchtlingen arbeiten. Gleichzeitig lösen deren Erlebnisse Traumata bei den Betreuern aus, berichtet Margaritha Matt. Für jeweils 80 Freiwillige brauche sie eine hauptamtliche Kraft, die sich auch um die Helfer kümmere. Sobald ein Mentor sich um einen Jugendlichen kümmere, beginne immer auch die Identifikation mit diesem und also auch die Sorge vor einer Abschiebung. Jugendliche werden auch aus Österreich nicht abgeschoben, sie könnten aber nach Ablehnung ihres Asylantrags und dem Erreichen der Volljährigkeit in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.

    Einigkeit beim Essen

    Die Leiterin des Hauses Said hat beobachtet, dass viele Ängste in der Bevölkerung verschwänden, sobald ein Schicksal einen Namen und ein Gesicht bekäme. Im Zusammenleben gäbe es lediglich dann Probleme, wenn ein traumatisierter Jugendlicher verhaltensauffällig sei. Unter den Jugendlichen aus Afghanistan sind auch Paschtunen und Hazara, Volksgruppen, die sich daheim überhaupt nicht grün sind. Im Haus Said müssen sie miteinander auskommen. Einigkeit haben sie immerhin schon darüber erzielt, dass das Essen im Haus Said gut sei, Kässpätzle ihnen aber überhaupt nicht schmecken.

    Unterschrift Foto: Minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. Ihre Zahl hat sich in Vorarlberg seit 2014 auf 200 vervierfacht Bild: dpa, ©Schwäbische Zeitung