Biberach sz
Die Unterbringung der vielen Flüchtlinge hat den Kreis Biberach vor enorme Herausforderungen gestellt. Nun gilt es die Menschen, die hier bleiben dürfen, zu integrieren. Die SZ hat mit Landrat Heiko Schmid ein Jahr nach dem „Wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin darüber gesprochen, was im Landkreis geschafft wurde, was noch nicht, und welche weiteren Herausforderungen beim Thema Flüchtlinge noch anstehen.
Was hat der Landkreis Biberach beim Thema Flüchtlinge geschafft?
Die Unterbringung. Aus Sicht von Landrat Schmid ist die Unterbringung der vielen Flüchtlinge gelungen: „Wir haben nicht gejammert, sondern uns dieser Aufgabe gestellt.“ Der Kreis habe dabei auf ein flexibles System von Unterkünften gesetzt, „das atmen kann, was die Verfügbarkeit betrifft“. Credo sei gewesen, möglichst keine Hallen belegen zu müssen, um Eingriffe in das Schul- und Vereinsleben zu vermeiden. „Das ist uns, im Vergleich zu manch anderen Landkreisen, gelungen“, so Schmid. Er räumt allerdings auch ein, dass ihm zunächst nicht bewusst gewesen sei, wie stark der Kreis Biberach vom Flüchtlingsstrom betroffen sein würde. „Spätestens als man aber die Bilder von den Tausenden gesehen hat, die zum Beispiel täglich in München ankamen, war klar, dass dieses Problem nicht schnell zu lösen ist.“ Erschwert wurde dies auch dadurch, dass die Kreisbehörde nie verlässliche Zahlen erhielt. „Die Menschen kamen vor einem Jahr in Strömen unkontrolliert ins Land, da mussten wir improvisieren“, sagt Schmid. „Aber was wäre die Alternative gewesen?“ Beeindruckt habe ihn die Solidarität der Haupt- und Ehrenamtlichen sowie von Kirchen, Verbänden und Hilfsorganisationen im Landkreis. „Diese Solidarität, die uns hier vor Ort stark gemacht hat, fehlt im Moment in Europa“, so Schmid.
Was hat der Landkreis noch nicht geschafft?
Die Integration. Rund 3500 Flüchtlinge leben derzeit im Landkreis Biberach. „An uns weitergeleitet werden inzwischen nur noch diejenigen, die eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit haben“, sagt Schmid. Der Landkreis bringe sie unter, statte sie mit dem Notwendigsten aus und kümmere sich mit Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen um eine Tagesstruktur für diese Menschen. „Das ist aber noch keine Integration“, sagt Schmid. Diese Aufgabe werde sich noch länger hinziehen. „Noch leben etwa zwei Drittel der Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften des Kreises. Richtige Integration kann erst dann gelingen, wenn diese Menschen länger in den Gemeinden leben, die Sprache lernen und mit dem Dorf- oder Vereinsleben in Kontakt kommen.“ Weil jetzt überwiegend nur noch die Flüchtlinge in den Landkreis kommen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bleiben dürfen, steige die Sinnhaftigkeit der Integrationsmaßnahmen, sagt Schmid.
Lösen die Flüchtlinge das Problem des Fachkräftemangels?
Wohl eher nicht. „In der Tat sind anfangs vor allem aus Syrien Menschen gekommen, die Ingenieure oder Akademiker sind“, sagt Schmid. Mit der Zeit seien aber auch zunehmend weniger qualifizierte Flüchtlinge in den Landkreis gekommen. „Trotzdem sind sie fit und motiviert. Wenn wir diese Leute nicht schnell in gute Strukturen bekommen, dann sinkt die Motivation und es steigt der Frust“, so der Landrat. „Das Wichtigste ist das Erlernen der Sprache.“ Schmid ist überzeugt, dass die heimische Wirtschaft die Flüchtlinge mittelfristig als Auszubildende und Fachkräfte brauchen wird. Zusammen mit der Arbeitsagentur bemühe sich das Landratsamt, die Menschen in Jobs, Praktika oder Fördermaßnahmen zu bekommen.
Sollten die Flüchtlingszahlen wieder auf das Niveau von Ende 2015 ansteigen – schafft der Landkreis das ein zweites Mal?
Logistisch möglicherweise ja. „Wir halten eine bestimmte Anzahl an Plätzen in unseren Unterkünften vor – etwa 200 bis 300“, so Schmid. Ein Teil der angemieteten Immobilien sei aber zwischenzeitlich auch schon wieder gekündigt worden. „Wir haben hier einen guten Mix aus Mietverträgen und eigenen Immobilien.“ Der Landrat bezeichnet den derzeitigen Zustand als „Atempause“: „Wir wissen nicht, wie es weitergeht.“ Hätten sich die Flüchtlingszahlen von Ende 2015 so fortgesetzt, hätte der Kreis die Unterbringung noch ermöglichen können, von Integration hätte man dann aber nicht mehr zu reden brauchen, sagt Schmid und ergänzt: „Ob es die Gesellschaft und die Strukturen im Landkreis ausgehalten hätten, dahinter mache ich mal ein Fragezeichen.“ Klar ist für ihn, dass sich die Gesellschaft durch die Flüchtlinge schon jetzt verändert hat. „Sie wird nicht mehr so sein wie vor zwei Jahren. Das darf ich nicht verklären als temporäre Erscheinung.“
Unterschrift Foto: Ein gewohntes Bild zum Jahresende 2015: die Ankunft eines Busses mit Flüchtlingen, hier an einer Unterkunft in Riedlingen. Bild: Landratsamt Biberach, ©Schwäbische Zeitung