Wegen massiv erhöhter Nutzungsgebühren für ihre Unterbringung in städtischen Gebäuden haben sechs Flüchtlingsfamilien im Frühjahr 2019 gegen die Stadt Riedlingen Klage vor dem Verwaltungsgericht in Sigmaringen eingereicht. Die Richter stellten nun fest, dass die am 25. März 2019 vom Gemeinderat beschlossene Gebührensatzung für die Flüchtlings- und Obdachlosen-Unterbringung rechtswidrig ist, weil sie nicht wirksam bekannt gemacht worden sei.
Als Fehler wird dargelegt, dass der vom Gemeinderat beschlossene Satzungstext in Paragraf 14 nicht mit dem übereinstimmt, der später veröffentlicht wurde. Die Bescheide seien deshalb aufzuheben. Dies zu tun, erklärten die Vertreter der Stadt gegenüber den drei Berufs- und zwei Laienrichtern nach diesem Hinweis, womit sich der Rechtstreit erledigt hatte. Die Kosten des Verfahrens hat die Stadt zu tragen.
Der Knackpunkt: Bei der Veröffentlichung der beschlossenen Satzung am 3. April 2019 im Mitteilungsblatt fehlte die Anlage mit den Gebühren. Bei SZ-Recherchen stellte sich heraus, dass die Formulierung des Paragrafen 14 in der Sitzung des Verwaltungs-, Finanz- und Wirtschaftsausschusses, welcher der Gemeinderatssitzung vorausging, so formuliert war: „Bemessungsgrundlage für die Höhe der Benutzungsgebühr ist die Gebührenkalkulation der Stadt Riedlingen. In der Anlage ist die Übersicht über die Zusammensetzung der Benutzungsgebühren beigefügt.“ Dem Gemeinderat lag eine verkürzte Formulierung vor: „Bemessungsgrundlage für die Höhe der Benutzungsgebühr ist die jeweils gültige Gebührenkalkulation der Stadt Riedlingen.“
Im Mitteilungsblatt vom 3. Juli 2019 erschien die ausführlichere Fassung, inklusive der Einzelaufstellung der Kaltmiete und Gebühren. Nach „Irritationen und Missverständnissen“, wie im Vorspann erklärt wurde. Aufgabe bei einer Neufassung der Satzung ist, die Gebühren in den Textteil selber aufzunehmen und nicht als Anlage zu führen, um Rechtssicherheit für die Gebührenerhebung zu erlangen, so Bürgermeister Marcus Schafft auf Anfrage.
Schon vor der zweiten Veröffentlichung waren Betroffene und der Freundeskreis für Fremde längst aktiv geworden. Ihre Widersprüche wurden allerdings vom Landratsamt als „unbegründet“ abgelehnt. Es hatte die Berechnung des monatlich angesetzten Kostenersatzes als korrekt empfunden und auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die erhobenen Betriebs-/Heizkosten „unangemessen“ hoch seien. Verfahrens- oder Formfehler „im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit“ hatte die Kreisverwaltung nicht erkannt. Die Betroffenen klagten und ließen sich von dem Riedlinger Rechtsanwalt Dietmar Bartnik vor Gericht vertreten.
Bürgermeister Marcus Schafft erklärt auf Anfrage, dass derzeit nicht nur jene Bescheide geprüft würden, die Gegenstand des Gerichtsverfahrens waren, sondern auch alle übrigen, die auf Grundlage der neuen Satzung erlassen wurden. Er hält fest: „Der Stadt Riedlingen ist kein wirtschaftlicher Schaden entstanden, da die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten ist“. Er geht davon aus, dass der Gemeinderat „unter Beachtung der Hinweise des Gerichts“ die Satzung neu und rechtskonform fassen und veröffentlichen lassen wird und die Verwaltung nach derzeitigem Stand davon ausgeht, dass unter dieser Voraussetzung die Gebühren rückwirkend gefordert werden können, auch die höheren. Allerdings, so Schafft, seien diesbezügliche Prüfungen noch nicht abgeschlossen.
Prüfen will auch das Landratsamt die an die Stadt Riedlingen geleisteten Zahlungen. Es behält sich vor, die Gebühr gegebenenfalls zurückzuverlangen, sollte es rechtlich möglich sein, so die Auskunft auf SZ-Anfrage. 2019 wurde gegenüber dem Freundeskreis erklärt, dass man die Bescheide für sein Klientel anerkenne.
Die sechs Familien, die beim Gericht vorstellig wurden, hatten zum damaligen Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt bereits selbst erwirtschaftet und waren persönlich mit den erhöhten Gebühren belastet worden. Die stiegen zum Beispiel von 468 auf 892 oder von 616 auf 1071 Euro, weil darin neben einer Kalt-Miete von 6,40 Euro pro Quadratmeter neben Betriebs- und Heizkosten auch Verwaltungskosten von insgesamt vier Euro aufschlugen und Stromkosten mit 33,13 Euro und Wasser/Abwasser mit 26,54 Euro pro Person berechnet wurden.
Auch wenn das Gericht nicht über die Nutzungsgebühren als solche entschied, klang laut Rechtsanwalt Dietmar Bartnik bei der Verhandlung die Frage des Äquivalenzprinzips an und damit die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, auch im Vergleich zu ortsüblichen Mieten. Im Übrigen sind alle, die damals Widerspruch eingelegt und geklagt haben, inzwischen aus den städtischen Unterkünften ausgezogen und haben anderen Wohnraum gefunden.
Dass es sich bei diesen Wohnungen nur um „vorübergehende“ Unterkünfte – bei den Flüchtlingen ist es die Anschlussunterbringung – handelt, unterstreicht Schafft, der im Zusammenhang mit der Gebührenhöhe festhält, dass die Stadt angehalten sei, einen angemessenen Kostenersatz zu erlassen, man habe in diesem Bereich „eine strukturelle Unterfinanzierung“.
In seiner Sitzung am 27. September soll sich der Gemeinderat erneut mit der Satzung über die Benutzung von Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften befassen.
Inwieweit die Gebühren hier neu festgesetzt werden, bleibt abzuwarten, hieß es doch in dem Beschluss von 2019, dass die Kostendeckung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und gegebenenfalls Neukalkulationen durchzuführen seien. „Alle zwei Jahre“, wird dazu aufgeführt.
Text: Waltraud Wolf
Foto: Archiv: Thomas Warnack/dpa