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    „Jüdische Politiker in Vergangenheit und Gegenwart“ bei den Laupheimer Gesprächen

    Laupheim, 18.05.2017 (Dirk Grupe, ©Schwäbische Zeitung)

    Laupheim sz
    Als der Jude und Sozialdemokrat Ludwig Marum am 16. Mai 1933 in einer Schaufahrt zum KZ Kislau zusammen mit sechs Genossen dem Hohn des Nazi-Mobs ausgesetzt wurde, war der Tiefpunkt der Demokratiegeschichte Badens erreicht. Die Demütigung einer Symbolfigur der Republik und eines Repräsentanten südwestdeutschen Judentums war für die Nazis wie eine Siegesfeier nach der Reichstagswahl. Und sie entlarvte das vermeintlich „goldene Zeitalter“ der deutsch-jüdischen Geschichte als Mär.

    "Jüdische Politiker in Vergangenheit und Gegenwart“ lautete am Donnerstag das Thema bei den 18. Laupheimer Gesprächen in Schloss Großlaupheim. Dieser Blick zurück und in die Gegenwart könnte kaum relevanter sein, in einer Zeit, in der sich Minderheiten Anfeindungen und Anschlägen ausgesetzt sehen und in der wieder antisemitische Töne in den Parlamenten zu hören sind. Bezeichnenderweise tauchte in Laupheim Heinrich Fiechtner auf, der für die AfD im Landtag sitzt und schon den Koran mit „Mein Kampf“ verglichen hat. In Laupheim macht er mit einer kruden und unklaren Äußerung über eine Sonderstellung der Juden auf sich aufmerksam, nach der ersten Pause war er weg.

    Wie viel interessanter war da der Vortrag über Ludwig Marum (1882-1934), dessen Lebensspanne „in sinnfälliger Weise mit dem Anfang und Ende der jüdischen Emanzipation“ zusammenfiel, wie die Karlsruher Wissenschaftlerin Monika Pohl ausführte. In Bruchsal aufgewachsen, fand er nach seinem Jurastudium wie zahlreiche andere Juden eine Heimat in der SPD. Die Sozialdemokraten bekämpften den allgegenwärtigen Antisemitismus und boten jüdischen Menschen „Karrierechancen für eine politische Laufbahn“. Marum nutzte diese Chance. Besonders angezogen fühlte sich der junge Politiker von der frühen Hinwendung der badischen SPD zum Reformismus und der Abkehr von der Fundamentalopposition, der Hinwendung zur pragmatischen Realpolitik, zur „Revolution mit dem Stimmzettel."

    Nach 1918 wurde er Justizminister, bekleidete in der Weimarer Zeit verschiedene Ämter in Regierung und Parlament, er war geschickt und kompromissbereit in einem Südweststaat, der als „Bollwerk der Demokratie“ galt.

    „Ganz offensichtlich“, so Pohl weiter, „unterschätzte Marum das Ausmaß und die Dynamik der modernen Judenfeindschaft.“ Am Ende der Weimarer Zeit wurde er selbst zum Opfer antisemitischer Verfolgung und schrieb desillusioniert aus dem KZ Kislau: „Das ist die Tragik unseres Schicksals, dass wir zum Judentum nicht wollten, dass aber die Deutschen uns nicht wollten, sodass wir heimatlos zwischen den Rassen stehen.“ Am 29. März 1934 wurde er in seiner Zelle in Kislau ermordet.

    Marum und das Badische stehen somit für eine Zeit, in der die Juden auf eine Teilhabe an der politischen Gestaltung sowie eine Integration ins gesellschaftliche Leben hofften und enttäuscht wurden. Für den Versuch, nach dem Krieg Jüdisches in Deutschland zu etablieren, steht Ignatz Bubis. Doch auch Bubis, den Moderator Johannes Weiß im voll besetzten Saal des Schlosses als „wichtigste jüdische Stimme in Deutschland nach 1945“ bezeichnet, stellte am Ende seines Lebens fest: „Ich habe fast nichts erreicht.“

    Dieses deprimierende Resümee zog der schwerkranke Bubis Ende der 1990er-Jahre und nur wenige Wochen vor seinem Tod in einem „Stern“-Interview. Bubis (Jahrgang 1927) verlor den Großteil seiner Familie im Holocaust und blieb nach dem Krieg dennoch in Deutschland, er wird in Frankfurt ein erfolgreicher Geschäftsmann, vor allem mit Großimmobilien. 1977 schreibt Rainer Werner Fassbinder das Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“, mit dem Subtext: „der böse Jude“. Viele wollen damals in Ignatz Bubis den „bösen Juden“ erkennen. Und zum ersten Mal kommt es in Deutschland zu jüdischen Protesten – die die Theateraufführung schließlich verhindern können. „Das war der Beginn eines neuen Storytelling der Juden in Deutschland“, sagt im Film der deutsch-französische und jüdische Politiker David Cohn-Bendit. Hauptprotagonist der neuen Story: Ignatz Bubis.

    Ignatz Bubis vereinnahmt

    Bubis wird später zum Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er erfährt in weiten Teilen der Bevölkerung Sympathie, wird von der Politik vereinnahmt. Über den es in einer gezeigten Dokumentation auch heißt: „Er wurde von deutscher Seite instrumentalisiert, als vorweggenommene Normalität zwischen Juden und Deutschen.“

    Bubis, der sich immer für den Schutz von Minderheiten eingesetzt hat, muss es ähnlich gesehen haben. Unter Tränen besucht er Ostdeutschland, wo es zu dieser Zeit zu massiven Ausschreitungen gegen Ausländer kommt. Und erlebt eine dunkle Stunde in der Paulskirche, als Martin Walser über die „Dauerpräsentation unserer Schuld“ klagt. Am Ende stellt Bubis fest: „Im öffentlichen Bewusstsein ist die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert. Ohne einen Blick zurück geht es aber nicht.“ Für ihn persönlich vielleicht noch schlimmer ist die Erkenntnis: „Ich bin ein Fremder geblieben.“

    In Laupheim stand folgerichtig die Frage im Raum: Warum ist bis heute die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert? Eine Antwort finden die Besucher der Laup-heimer Gespräche nicht. Und es bleibt die Erkenntnis, dass auch 20 Jahre nach Bubis’ Tod, Normalität zwischen Juden und Deutschen zwar angestrebt wird, sich mancherorts aber als genauso schwer erweist wie das Verhältnis zu Flüchtlingen und anderen Minderheiten.

    Hoffnung machen Menschen wie Marian Offman, der schon lange für die CSU im Münchner Stadtrat sitzt. Der Jude, der den Großteil seiner Familie im Holocaust verlor, berichtete in Laupheim, wie er im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnhof stand und die zahlreichen Flüchtlinge mit der Botschaft empfing: „Willkommen in Deutschland – hier seid ihr sicher."

    Unterschrift Foto: Ignatz Bubis, gest. 1999 Bild: , ©dpa