Biberach, 04.11.2015 (Gerd Mägerle, ©Schwäbische Zeitung)
Rund 1000 Flüchtlinge sollen bis Jahresende noch in den Landkreis Biberach kommen. Dennoch gibt es noch nicht in jeder Kreisgemeinde eine Gemeinschaftsunterkunft. Wie das Landratsamt mit dem Thema Flüchtlinge umgehen will und was es von den einzelnen Kommunen erwartet, sagt Landrat Dr. Heiko Schmid im Interview mit SZ-Redakteur Gerd Mägerle.
Herr Schmid, Ihre Sozialdezernentin sagte vorige Woche im Biberacher Gemeinderat, bezogen auf die Flüchtlingskrise: „Uns steht das Wasser bis zum Hals“. Sie haben die Bürgermeister von 28 Kreisgemeinden, die noch keine Gemeinschaftsunterkunft haben, ins Landratsamt eingeladen, um Druck in diese Richtung auszuüben. Wie dramatisch ist die Situation inzwischen?
Schmid: Trotz des riesigen Engagements in den vergangenen Monaten, was Gebäude und Grundstücke für Gemeinschaftsunterkünfte angeht, kommen wir inzwischen nicht mehr weiter. Wir wollen die Flüchtlinge einerseits gerecht verteilen, haben aber andererseits im Landkreis noch etliche weiße Flecken.
Und um die zu beseitigen, wird jetzt der Druck auf die Bürgermeister erhöht?
Klar ist, dass die Situation so nicht bleiben kann. Während in einigen Gemeinden noch keine Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften sind, klemmt’s bei anderen an allen Ecken und Enden. Und weil einige Bürgermeister sagten „Ich würde ja gerne Flüchtlinge aufnehmen, aber mein Gemeinderat zieht nicht mit“, habe ich die ehrenamtlichen Bürgermeister-Stellvertreter gleich mit zu der Besprechung eingeladen. Und alle waren da, das hat mich gefreut.
Wie lief das Gespräch ab?
Ich habe den Bürgermeistern die Lage anhand der Zahlen deutlich gemacht. Wir rechnen für dieses Jahr derzeit noch mit rund 1000 Flüchtlingen und für 2016 mit etwa 2000 bis 2600. Um die Belegung von Sporthallen oder das Aufstellen von Zelten zu vermeiden, was in anderen Kreisen bereits gängige Praxis ist, braucht es mit Blick auf 2016 einen Kraftakt des ganzen Landkreises. Einige Bürgermeister waren von den Fakten zunächst etwas geplättet, aber wir hatten dann eine sehr muntere Diskussion.
Viele eigene Hallenkapazitäten hat der Landkreis doch aber gar nicht, oder?
Wir haben die Sporthalle des Berufsschulzentrums (BSZ) in Biberach und eine Sporthalle in Riedlingen. An der BSZ-Halle hängen aber so viele schulische und vereinsbezogene Strukturen, die wir damit lahmlegten, so dass wir uns eine Belegung gut überlegen müssen. Und die Riedlinger Halle können wir eigentlich nur im äußersten Notfall belegen, weil in Riedlingen bereits mehr als 250 Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften weilen.
Welche Hallen oder Säle haben Sie dann für den Fall der Fälle im Auge?
Es gibt in den Gemeinden und ihren Teilorten ja durchaus Einrichtungen, die doppelt oder mehrfach vorhanden und vergleichsweise weniger frequentiert sind, wie Gemeindesäle, kirchliche Begegnungsräume und ähnliches. Ich denke, da könnte sich noch mehr tun.
Aber diese Räume werden auch, vielfach für Vereinsaktivitäten genutzt - gerade jetzt im Herbst und Winter.
Die Frage ist doch, welche Alternativen eine Gemeinde noch hat, wenn in absehbarer Zeit der Bus mit Flüchtlingen vor der Tür steht.
Würden Sie es im Zweifel darauf ankommen lassen?
Wir haben eine Lawine, die sich aufbaut. So wie es das Land bei uns macht, kann ich - wenn wir als Kreis keine anderen Möglichkeiten mehr haben - den Druck auf die Kommunen nur dann erhöhen, wenn ich ihnen die Busse im Zweifel vor die Tür stelle. Aber ich glaube, dass wir inzwischen ein paar Fortschritte erzielen konnten.
Welche sind das?
Wir haben den Bürgermeistern bis nach den Herbstferien Zeit gegeben, uns Gebäude für Unterkünfte oder Grundstücke für Wohncontainer zu nennen. Inzwischen sind bereits einige durchaus erfolgversprechende Angebote eingegangen. Wir rüsten uns aber nach wie vor für den Notfall. Rund 400 Feldbetten stehen für eine Hallenbelegung bereit und wir sind im engen Dialog mit dem DRK. Mit der Aufnahme in die Gemeinschaftsunterkünfte ist es aber nicht getan. Inzwischen haben rund 70 Prozent der Flüchtlinge die zu uns kommen, eine hohe Bleibeperspektive. Deren Anschlussunterbringung ist Sache der Kommunen. Auch hier müssen wir versuchen, die Lasten gleichmäßig zu verteilen. Der Druck auf die Kommunen, die sich da verweigern, wird stärker werden. Unser System der Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis wird 2016 nur dann weiter funktionieren, wenn wir dann rund 1000 Flüchtlinge in die Anschlussunterbringung bekommen.
Auch die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die zu uns kommen, wächst. Wie geht der Kreis mit ihnen um?
Auch das wird eine Herausforderung. Wir werden bis Ende des Jahres etwa 70 minderjährige Flüchtlinge ohne Angehörige im Landkreis haben. Die konnten wir bisher noch fast alle in Gastfamilien unterbringen, auch die St.-Fidelis-Jugendhilfe Heudorf hat uns sehr unterstützt. Das wird 2016 schwieriger, da erwarten wir etwa 200 bis 250. So viele Gastfamilien haben wir nicht. Ich will diese jungen Menschen nicht irgendwo gettoisieren, aber wir müssen auch über Wohnheime mit entsprechender Betreuung nachdenken.
Diese ganze Arbeit muss ja vom Landratsamt irgendwie bewältigt werden. Schaffen Sie dafür weitere Stellen?
Ja. Ohne kraftvolle Verstärkung könnten wir’s nie und nimmer stemmen. Wir haben 2015 bereits 25,5 neue Stellen geschaffen, 2016 sollen mindestens 43,5 weitere folgen. Alleine das Auswählen, Einarbeiten und Unterbringen dieser neuen Mitarbeiter stellt derzeit eine gewaltige Herausforderung dar.
Wie werden die Stellen finanziert?
Wir rechnen, dass wir „netto“ etwa 75 Prozent der Kosten von Bund/Land wiederbekommen. Das verbleibende Delta haben wir zu tragen. Das war aber für den Kreistag bislang kein Problem und ich werde diese Diskussion auch nicht führen. Wenn sich der Kreis Biberach das nicht leisten kann, wer denn dann?
Die Unterbringung der Flüchtlinge ist das eine, die Integration dieser Menschen, das andere. Bleibt der Verwaltung dafür überhaupt noch Zeit?
Wir sind weiter im Krisenmodus. Da sind verlässliche und gute Unterkünfte erstmal das A und O. Ich denke wir haben das bislang besser hinbekommen als viele andere. Und wir haben mit unseren Festangestellten und den vielen ehrenamtlichen Helfern inzwischen Strukturen aufgebaut, die man weiterentwickeln kann. Es ist phänomenal, was da an Angeboten läuft. Ich weiß, dass wir hier teilweise an die Grenze der Belastbarkeit kommen, aber im Moment gibt keiner auf. Alle sind hoch motiviert und brennen darauf, etwas zu tun.
Kommen Sie als Landrat momentan noch zu etwas anderem außer dem Thema Flüchtlinge?
Ich habe das Glück, ein sehr gutes Team um mich herum zu haben, auf das ich mich verlassen kann. Trotzdem ist das Flüchtlingsthema im Moment der Kern meiner Tätigkeit und wird vermutlich das Kernthema meiner zweiten Amtszeit als Landrat werden. Trotzdem dürfen wir aber die Bürger des Landkreises mit ihren vielen anderen Anliegen nicht vergessen.
Die Kanzlerin hat gesagt „Wir schaffen das.“ Ihr Landratskollege Frank Hämmerle in Konstanz sagt „Wir schaffen das nicht“ - was sagen Sie?
Wir schaffen das, wenn wir die Lasten gleichmäßig verteilen.
Foto:(Gerd Mägerle, ©Schwäbische Zeitung)