Biberach tab
Der Syrer Ahmed Halawi und der Gambier Salifu Ceesay sind zwei von 3411 Flüchtlingen, die aktuell im Landkreis Biberach leben. Und jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Hier sind zwei Lebensgeschichten. Bei der einen gelingt Integration und bei der anderen ist der Weg schwer.
Ein paar Monate bevor Ahmed Halawi zur Armee eingezogen werden sollte, fasste der damals 17-Jährige den Entschluss, seine Heimat Syrien zu verlassen. Er hatte keine Wahl: „Ich will niemanden töten.“ Eines Nachts verließ Ahmed Halawi das Haus seiner Eltern und machte sich mit seinem Vater auf einen unbekannten Weg. Zwei Jahre lebten sie in der Türkei und versuchen sich ein Leben aufzubauen, doch für Ahmed Halawi gab es keine Perspektive. Er wagte allein die Reise nach Deutschland, es ging über das Mittelmeer und zu Fuß teilweise durch den Wald über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis er schließlich in Deutschland ankam. „Es war sehr schlimm. Einerseits gibt es das Meer, das einen umbringt und anderseits wartet die Mafia mit Waffen im Wald auf uns.“
Das alles ist nun zwei Jahre her. Damals hätte er nicht gedacht, dass er heute ein glückliches Leben in Mittelbiberach führt, eine Ausbildung als KFZ-Mechatroniker begonnen hat, die deutsche Sprache beherrscht und bei Familie Andrade Alt ein neues Zuhause gefunden hat. „Ich habe so viel Glück. Wenn ich Andrea nicht getroffen hätte, wäre ich heute nicht, wo ich bin“, sagt der 21-jährige aus Aleppo. „Ich habe jetzt angefangen, meine Zukunft hier aufzubauen. Ich will meine Ausbildung machen und dann meinen Meister und weiter lernen.“
Andrea Andrade Alt ist Lehrerin an einer beruflichen Schule in Ulm, dort war Ahmed Halawi ihr Schüler. „Er hat ganz viel Eigeninitiative gezeigt und wollte alles lernen“, sagt die zweifache Mutter aus Mittelbiberach. „Wir haben uns angefreundet und jetzt ist er Teil unserer Familie und lebt bei uns.“
Für Ahmed Halawi ist aber ganz klar, wer sich integrieren will, muss die Sprache lernen und mit den Menschen in Deutschland in Kontakt treten. „Jeder, der hier ist, muss die Gesetze respektieren und lernen, wie die Menschen leben. „Ich versuche immer mich zu integrieren, aber ich vergesse dabei meine Kultur nicht.“ Er ist Muslim und lebt in einer christlichen Familie: „Das funktioniert super.“
Für Andrea Andrade Alt ist der junge Syrer eine absolute Bereicherung. „Wir lernen viel voneinander und führen viele Gespräche“, sagt die 51-Jährige. Auch die Küche ist ein bisschen orientalischer geworden. „Ich kann jetzt super arabisch einkaufen“, lacht sie. Doch neben dem ganze Glück, das sie haben, gibt es auch traurige Zeiten: „Wir haben auch schon viel zusammen durchgestanden und Angst gehabt“, erzählt die Mittelbiberacherin. „Es sind Familienangehörige gestorben und wir spüren schon, dass er seine Familie sehr vermisst.“
Ahmed Halawi hat seine Mutter seit vier Jahren nicht gesehen. Die Familie lebt in Istanbul. Seit eineinhalb Jahren hat er einen Bruder, den er nur von Bildern kennt: „Ich würde meine Familie gerne in der Türkei besuchen, aber das ist gerade nicht so einfach“, sagt der junge Syrer. „Ich hoffe, ich schaffe es bald.“
Einen Weg zurück in die Türkei oder gar nach Syrien sieht er momentan nicht: „In Syrien habe ich so 50 bis 60 Prozent meiner Zukunft begonnen aufzubauen, als ich nach Deutschland kam habe ich bei null angefangen“, erzählt er. „Jetzt bin ich wieder bei 30 bis 40 Prozent. Ich bin jetzt hier und mache weiter. Meine Zukunft ist super in Deutschland, das fühle ich.“
Doch die Ausbildung in einem Schemmerhofer KFZ-Betrieb ist gar nicht so einfach: „Die deutsche Sprache ist schwer und dann kommt noch schwäbisch dazu“, lacht der Syrer. „Aber ich lerne viel und werde es schaffen.“
Ungewisse Zukunft für jungen Afrikaner
Wenn Salifu Ceesay trommelt, dann geht es ihm gut. Er vergisst für einen Moment seine Sorgen und ist glücklich, weil er andere Menschen mit seiner Musik glücklich machen kann. Der 24-Jährige kommt aus Gambia und hat seine Heimat vor vier Jahren verlassen. Der Weg war hart, es ging über das Meer und weiter zu Fuß bis nach Italien, dort war sein erster Stopp in Europa. Seit knapp zwei Jahren lebt er nun in einer Gemeinschaftsunterkunft in Biberach.
Für ihn ist das Leben hier nicht ganz so einfach. Aber er hat einen Weg gefunden, sich zu integrieren: „Ich habe angefangen zu trommeln und spiele in der Biberacher Band International Identity“, erzählt der junge Afrikaner auf Englisch. „Ich will mich integrieren und irgendwie in die Gesellschaft passen.“ In Gambia war er ein professioneller Football-Spieler, aber eine Verletztung am Knie zwang ihn dazu, aufzuhören.
Nach zwei Praktika bei verschiedenen Firmen im Kreis geht er jetzt wieder zur Schule und will besser deutsch lernen. „Ich möchte arbeiten, mir mein eigenes Leben hier aufbauen und vor allem aus dem Heim ausziehen“, sagt Salifu Ceesay. „Wir sind zu viert im Zimmer und ich habe keine Privatsphäre.“
Doch bevor er sich eine mögliche Zukunft in Biberach ausmalen kann, wartet er auf seinen Bescheid aus Karlsruhe. Seine Anhörung hatte er im Juli dieses Jahres. Jetzt heißt es warten. „Jede Tag sehe ich nach der Post“, sagt der Gambier. „Ich habe Angst, dass ich abgelehnt werde und dann weiß ich nicht, was passiert.“ Muss er zurück nach Italien oder wird er nach Gambia abgeschoben? „In meine Heimat kann ich nicht zurück, ich bin geflohen, weil ich politisch verfolgt werde.“ 22 Jahre lang herrschte in seinem Heimatland in Westafrika ein Diktator, der es unmöglich machte, dort in Frieden zu leben. Jetzt ist er ins Exil geflohen. „Es gibt nichts mehr in Gambia, das Land ist leer.“
Was ihn ein bisschen erschreckt: Fast alle Afrikaner, die er kennt, wurden abgelehnt: „99 Prozent bekommen einen negativen Bescheid“, sagt der 24-Jährige. „Aber ich kenne nur meine Geschichte, ich weiß nicht, was die anderen erlebt haben und warum sie hier sind.“ Die Unsicherheit vor der Zukunft ist es, die Salifu Ceesay zu schaffen macht: „Manchmal frage ich mich, warum soll ich deutsch lernen, zur Schule gehen und dann werde ich abgelehnt“, sagt er. „Aber die Hoffnung bringt mich dazu, jeden Tag aufzustehen und nicht aufzugeben. Ich will für mein Glück kämpfen.“
In Gambia hat er als Elektriker gearbeitet. Wenn er in Deutschland bleiben kann, würde er gerne in diesem Bereich weiter arbeiten oder eine Ausbildung machen. „Mein Traum ist aber zu studieren. Wenn ich das nicht klappt, mache ich eine Ausbildung“, sagt Salifu Ceesay. Im Landkreis Biberach hat er viele Freunde aus vielen verschiedenen Ländern gefunden: „Ich bin sehr dankbar, dass ich hier sein kann.“ Doch ein Zuhause habe er hier noch nicht gefunden.
Er hat auch eine Bitte an die Menschen in Biberach: „Gebt mir und meinen afrikanischen Freunden eine Chance. Wir wollen uns integrieren, arbeiten und ein Teil der Gesellschaft sein. Auch wenn unsere Hautfarbe anders ist, wir sind alle Menschen.“
Unterschrift Foto: Der Syrer Ahmed Halawi hat bei Andrea Andrade Alt ein neues Zuhause gefunden. Bild: Tanja Bosch, ©Schwäbische Zeitung