Biberach sz
Bei den Ringvorlesungen zum Thema „Offene Gesellschaft“ der Hochschule Biberach hat Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan am Dienstagabend im vollbesetzten Audimax über das Thema „Solidarität und Integration in Europa“ gesprochen. Thomas Vogel, Rektor der Hochschule, begrüßte die zahlreich erschienenen Zuhörer und stellte die Referentin vor.
Gesine Schwan sprach zunächst über den Begriff Solidarität mit seiner Grundbedingung der gegenseitigen Haftung. Sie unterschied zwischen zwei Arten der Solidarität: einmal der exkludierenden Solidarität, die in einer Gruppe oder Gemeinschaft geübt wird und sich gegen eine andere Gruppe wendet, (zum Beispiel die EU gegen den Ostblock zu Zeiten des „Kalten Krieges“). Diese Art der Solidarität könne man sich aber heute nicht mehr leisten, da sich die Probleme in einer globalisierten Welt nur noch gemeinsam lösen lassen. Diese Solidarität müsse deshalb durch eine zweite Art, die umfassende Solidarität ersetzt werden, auch mit Menschen, die weit weg, sogar auf anderen Kontinenten leben.
Christliche Tradition
Das entspricht laut Schwan auch unserer christlichen Tradition und Kultur, wie das Beispiel vom „Barmherzigen Samariter“ zeigt. Das Wesen dieser umfassenden Solidarität sei das Helfen ohne Bedingung, ohne Gegenwert. Dies sei aber in letzter Zeit in der europäischen, aber auch deutschen Politik abhandengekommen und werde durch die Haltung ersetzt: „Wir haften nicht für andere, die sind für sich selbst verantwortlich, sonst laden wir sie zu noch mehr Verantwortungslosigkeit ein.“ Aber es gebe Interdependenzen von Verantwortung, „denn wie man am Beispiel Griechenland sehen kann, wurden teilweise Schulden aufgehäuft, weil Banken gerettet werden mussten.“ Jetzt, wo die Not groß und die Schulden hoch seien, übt man keine Solidarität und die griechische Bevölkerung müsse die Misere ausbaden. Als in der Flüchtlingsfrage erste krisenhafte Zustände in Italien und Griechenland sichtbar wurden, verwies man auf das Dublin-Abkommen und ließ diese Länder alleine. Erst als in Deutschland massenhaft Flüchtlinge ankamen und es drohte von ihnen überrollt zu werden, wurde von der deutschen Bundesregierung zum ersten Mal europäische Solidarität eingefordert und Dublin als gescheitert angesehen.
Als Antwort auf die Globalisierung wurde im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag in Europa der Standortwettbewerb eingeführt, das heißt, Staaten wurden zu Standorten und sollten untereinander konkurrieren. Wettbewerb war das neue Mantra. Aber gegenseitiger Wettbewerb schafft laut Schwan keine Solidarität, sondern zerstört sie.
Die Integration von Ausländern müsse Aufgabe für die gesamte Gesellschaft sein. Es dürfe keine erzwungene Anpassung im Sinne der Mehrheitsgesellschaft geben, sondern eine freiwillige und partnerschaftliche Integration auf Augenhöhe und damit eine von Einheimischen und Flüchtlingen gemeinsam weiterentwickelte Gesellschaft. „Alle Bürger haben das gleiche Recht auf Selbstbestimmung und gleiche Chancen.“
Europäischer Flüchtlingsfonds
Da sich beim Umgang mit den Flüchtlingen seit letztem Sommer die Situation um 180 Grad gedreht hat, schlägt Gesine Schwan zur Lösung des Problems einen europäischen Flüchtlingsfond vor, der Folgendes vorsieht: Die europäischen Staaten zahlen Geld in einen Fond ein. Einzelne Städte und Gemeinden, nicht mehr der Staat, sollen mitteilen, wie viele Arbeitsplätze und Unterkünfte sie für Flüchtlinge haben und können sich um Gelder aus diesem Fond bewerben.
Von den Kommunen dringend benötigte Arbeitsplätze könnten so besetzt werden, und die einzelnen Staaten müssten sich nicht, oftmals gegen den Widerstand der Bevölkerung, um die Probleme kümmern. Die Kompetenz läge nicht mehr in Brüssel, sondern vor Ort. Solidarität und Integration könnten so gelingen.
Unterschrift Foto: Gesine Schwan hat im voll besetzen Audimax der HBC über Solidarität und Integration gesprochen. Bild: Hochschule Biberach, ©Schwäbische Zeitung