20190731_laupheim.png

    Gerade wieder Wurzeln geschlagen, dann erneut heimatlos?

    Laupheim, 29.07.2019 (Roland Ray, ©Roland Ray)

    Sie kamen auf der Balkanroute und in Schlauchbooten übers Mittelmeer, von der Familie getrennt, von Schleusern geschröpft, auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung und weil sie in ihrem Land keine Zukunft für sich sahen. Tausende Bürger in Deutschland haben sich dieser Menschen angenommen. Seit Jahren leisten sie aus freien Stücken Großartiges für eine gelingende Integration. Nun aber treibt viele Helfer die Sorge um, ihre Schützlinge könnten abgeschoben werden. Das wollen sie nicht akzeptieren. Zwei Beispiele aus Laupheim.

    Emotionale Bindung

    „Im Juli 2015 hat das Jugendamt Pflegeeltern für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge gesucht“, erzählen Sigrid und Torsten Liermann. Das kinderlose Ehepaar nahm einen 16-jährigen afghanischen Jungen bei sich auf.

    Auch der Bruder des Jungen lebt inzwischen in Laupheim. Eine emotionale Bindung ist entstanden. „Ich bin mit 60 Mutter geworden“, drückt Sigrid Liermann es aus. „Unser Leben ist bereichert worden. Das sind beides unsere Jungs.“ Jungs, die von ihrer „deutschen Mama“ und ihrem „deutschen Papa“ sprechen und fleißig sind. Der Jüngere hat den Hauptschulabschluss geschafft und macht eine Ausbildung zum Elektroniker; der Ältere, als Analphabet gekommen, hat die Schulfremdenprüfung bestanden und lernt Technischer Konfektionär.

    Vor zwei Jahren wurden ihre Asylanträge abgelehnt, beide legten Einspruch ein. „Wir warten noch immer auf den Entscheid“, sagt Torsten Liermann. Total ausgeliefert fühle man sich unter solchen Umständen, beklagt Liermann. Alle behördlichen Vorgaben seien erfüllt worden. Auch Identitätsnachweise für die beiden jungen Afghanen konnten beschafft werden, mithilfe der leiblichen Eltern in Kabul, für die das nicht ohne Risiko gewesen sei – „der Vater hat gegen die Taliban gekämpft“.

    Eine Abschiebung „ihrer“ Jungs wäre für Liermanns inakzeptabel. „Unser Staat hat seine Bürger um Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms gebeten“, sagen sie. „Wir haben Zeit und Herzblut investiert, sind auf einem guten Weg der Integration.“ Wenn solches Jahre später nicht mehr zähle, „ist das für uns ein Schlag ins Gesicht“. Ihr Appell an die Politiker: „nicht nur nach Aktenlage entscheiden, sondern mit denen sprechen, die sich gekümmert haben“.

    Entscheidendes geleistet

    Julia Blessing ist in der ökumenischen Flüchtlingsarbeit der Diakonie Biberach tätig und Ansprechpartnerin für ehrenamtliche Helferkreise in zwölf Gemeinden. Die Unterstützer hätten Entscheidendes geleistet in Sachen Integration, sagt sie. Viele seien inzwischen aber enttäuscht von der Politik und fühlten sich allein gelassen.

    Martin Gröner nickt. Seine Frau und er kümmern sich angelegentlich um Flüchtlinge. Ans Herz gewachsen sind ihnen unter anderem zwei junge Männer aus Gambia. „Sie lernten Deutsch und schwäbische Eigenschaften wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, wir besuchen uns oft gegenseitig“, berichtet das Ehepaar. „Wir werden als Ersatzeltern akzeptiert.“ Die „Buben“, wie Anne Gröner sie mit einem herzlichen Lachen nennt, arbeiten in einem hiesigen Unternehmen, bestreiten ihren Lebensunterhalt selbst, haben zusammen eine Wohnung gemietet – „die Integration ist mittlerweile gut gelungen“.

    Doch besonders wegen einem der beiden sind Gröners nun tief beunruhigt: „Er kann seine Identität nicht nachweisen, hat keinen Pass und bisher vergeblich versucht, einen Nachweis zu bekommen. Die Verordnungen drohen deshalb mit Arbeitsverbot, Verlegung und Abschiebung.“ Wenn es so weit käme, „würde es uns ins Mark treffen“, sagt Martin Gröner. Man habe sehr viel Mühe in die vom Staat gewünschte Unterstützung zur Eingliederung gesteckt und freue sich über den Erfolg. Die beiden Gambier befolgten sämtliche Regeln, erfreuten Arbeitgeber und Vermieter – „sie sind ein Gewinn für unser Laupheim“.

    Natürlich akzeptiere er, dass Asylanträge nach dem Gesetz geprüft und entschieden werden, sagt Martin Gröner. „Aber wir fordern, dass eine negative Entscheidung in einem angemessenen Zeitraum gefällt werden muss. Es kann nicht sein, dass wir über einen Zeitraum von fünf Jahren an der Integration arbeiten und dann mit einer Abschiebung konfrontiert werden.“ Eine in dieser Zeitspanne erreichte erfolgreiche Integration mit finanzieller Unabhängigkeit, Vollzeitjob, eigener Wohnung, guter Sprachkenntnis und Wohlverhalten müsse mit einem Bleiberecht belohnt werden. „Das ist unsere Regierung auch uns Helfern schuldig.“ Die Politik müsse erkennen und anerkennen, „dass es Tausende Ehrenamtliche gibt, die mitbetroffen sind“.

    Es gehe um weit mehr als um Betreuung, sagt Anne Gröner. „Man ist zusammengewachsen.“

    Beide Ehepaare baten darum, ihre Schützlinge in der Berichterstattung nicht mit Namen zu nennen. „Sie haben Angst“, sagt Martin Gröner. „Und wir haben Angst um sie.“

    Unterschrift Foto: Gerade wieder Wurzeln geschlagen, dann erneut heimatlos? Die beiden Stühle, gestaltet vom Arbeitskreis Flüchtlinge Wain, sind bei einer Kampagne des Diakonischen Werks Württemberg für eine menschenwürdige Asyl- und Flüchtlingspolitik entstanden und aktuel Bild: Roland Ray, ©Roland Ray