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    Landrat Heiko Schmid und Sozialdezernentin Petra Alger sprechen über Flüchtlinge

    Biberach, 30.07.2016 (Tanja Bosch, ©Schwäbische Zeitung)

    Biberach sz
    Um das Thema Flüchtlinge ist es in letzter Zeit ruhiger geworden. Die Zuweisungen gehen zurück und auch die Nachrichten von überfüllten Unterkünften bleiben aus. Im Moment scheint sich die Lage zu entspannen, doch keiner weiß, wie lange das anhält. Wie der Landkreis Biberach mit dieser Situation umgeht und ob die vielen Unterkünfte und Stellen, die geschaffen wurden, noch nötig sind? SZ-Redakteurin Tanja Bosch hat mit Landrat Heiko Schmid und Sozialdezernentin Petra Alger über aktuelle Zahlen, Integration und die Zukunft der Flüchtlingsarbeit gesprochen.

    Herr Schmid, Frau Alger, hat sich die Lage im Landkreis Biberach tatsächlich entspannt?

    Heiko Schmid: Wir haben eine Atempause, aber wie lange sie anhält, weiß keiner. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Unzählige ertrinken im Mittelmeer, das ist mehr als tragisch und wird so schnell nicht aufhören.

    Petra Alger: Ja, die Lage ist entspannter, allerdings nur, was die Unterbringung anbelangt.

    Wie viele Flüchtlinge kommen zurzeit noch im Landkreis Biberach an?

    Alger: Momentan sind wir etwa bei 20 bis 30 Flüchtlingen pro Monat. Im März dieses Jahres waren wir bei 360. Aber klar, die Balkanroute ist zu, das spielt natürlich eine große Rolle. Außerdem weist das Land den Kreisen derzeit monatlich nur 500 Flüchtlinge zu, da es selbst freie Kapazitäten hat. Jetzt müssen wir Unterbringungsplätze abbauen. Im März waren wir allerdings sehr froh, dass wir die nötigen Kapazitäten hatten.

    Wie sollen die Plätze abgebaut werden? Nach welchem Prinzip gehen Sie vor?

    Alger: Das ist jetzt die Quadratur des Kreises und keine einfache Aufgabe. Wir müssen schauen, welche Liegenschaften wir abstoßen können. Manche haben wir gekauft, manche angemietet, und davon haben ohnehin einige eine befristete Laufzeit. Wir haben im Kreis mehr als 50 Unterkünfte mit insgesamt 3000 Plätzen, das ist eine Menge.

    Schmid: Wir werden aber ganz bestimmt nicht alles abbauen, wir wissen schließlich nicht, was kommt. Wir müssen auf Sicht fahren. Es ist ein fortlaufender Prozess, auf den wir flexibel reagieren. Wir sind dabei, verschiedene Liegenschaften umzunutzen. Momentan haben wir auch die Belegung in den Gemeinschaftsunterkünften heruntergefahren. Durchschnittlich sind die GUs gerade zu 70 Prozent ausgelastet. Das bringt eine gewisse Entspannung für die Menschen, sie haben mehr Platz und es gibt nicht so viele Reibungspunkte.

    Welche Liegenschaften bleiben? Welche sind nur temporär?

    Schmid: Wir haben eine Halle für den Notfall in den Oberen Stegwiesen in Biberach angemietet, die werden wir auf jeden Fall behalten. In Biberach sind die ehemalige EVS und die Unterkunft in der Waldseer Straße ohnehin nur befristet angemietet. Das Oblatenkloster auf dem Mittelberg haben wir gekauft. Da gibt es zunächst keine Änderungen. Das Bauvorhaben in Laupheim an der Berufsschule befindet sich gerade in der finalen Phase. Da überlegen wir uns, einige Wohnungen befristet an eine österreichische Zulieferfirma eines renommierten Laupheimer Betriebs zu vermieten. Und Container, die eigentlich für die Flüchtlingsunterbringung gedacht waren, werden wir für eine Interimszeit für verschiedene schulische Bedarfe zur Verfügung stellen.

    Alger: Außerdem leben viele Flüchtlinge bereits jetzt in Privatwohnungen, die der Landkreis angemietet hat. Wir wollen, dass diese Mietverträge von den Flüchtlingen übernommen werden. Das ist eine wichtige Integrationsmaßnahme.

    Wie sieht es eigentlich mit den Zuweisungen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus?

    Alger: Momentan leben 120 UMAs (Anm. d. Red.: unbegleitete minderjährige Ausländer) im Kreis. Alle zwei Wochen kommen etwa fünf Jugendliche an. Hier haben wir keinen rapiden Rückgang, sondern eher steigende Zahlen. Was die UMAs betrifft, sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben ein dreigliedriges Konzept entwickelt, das sehr gut funktioniert. Zum einen gibt es 50 bis 60 Pflegefamilien, dann die Wohngruppen des Jugendamts und zusätzlich die Unterstützung von freien Jugendhilfeträgern, bei denen die UMAs untergebracht sind.

    Spielen die Ereignisse, die sich zum Beispiel im Zug bei Würzburg – Stichwort Axt-Attentäter – abgespielt haben auch in Biberach eine Rolle? Sind die Menschen, die sich um UMAs kümmern, verunsichert?

    Schmid: Es ist einfach schrecklich, was dort, aber auch in München, Ansbach, Reutlingen und Frankreich passiert ist. Natürlich können auch wir solche Dinge nicht zu 100 Prozent ausschließen. Deshalb ist es umso wichtiger, die jungen Menschen zu integrieren. Unsere Strukturen tragen auf jeden Fall dazu bei, dass das funktionieren kann. Ich bin sehr froh, dass die Gastfamilien bei uns so professionell begleitet werden. Denn man darf nicht vergessen, dass diese Teenager meist ganz anders sind als unsere. Sie sind teilweise traumatisiert und haben mitunter diverse „Handicaps“. Wir beobachten das aber und sind wachsam. Eine schulische Einbindung ist äußerst wichtig.

    In den Haushaltsberatungen 2016 wurden 50 Mehrstellen für die Flüchtlingsarbeit beschlossen, 16 weitere im März. Wie viele Stellen wurden besetzt? Müssen einige jetzt wieder abgebaut werden?

    Alger: Wir haben nicht alle 66 Stellen besetzt. Wir haben nur die besetzt, die notwendig waren und unsere Mitarbeiter machen wirklich einen tollen Job. Außerdem haben wir das Glück, dass wir auch aufgrund unseres eigenen Jobcenters gut mit den Stellen jonglieren können.

    Schmid: Wir sind sehr froh, dass wir diese Mitarbeiter bekommen haben. Denn auch wenn die Zuweisungen momentan zurückgehen, die Menschen sind trotzdem da, müssen betreut und integriert werden.

    Wie geht es jetzt weiter? Wie läuft es mit der Integration?

    Schmid: Wir waren jetzt zwölf Monate im Unterbringungsmodus und wir sind jetzt im Integrationsmodus. Das ist wieder eine ganz andere Herausforderung. Die Integration ist alternativlos, sie muss gelingen. Ich bin sehr beeindruckt von den Betrieben und Unternehmen in unserer Region. Wenn der Arbeitsmarkt sich nicht verschließt und Interesse an den Flüchtlingen besteht, dann ist mir nicht bange.

    Berufliche Perspektiven sind wichtig. Wie sieht es mit der sozialen Komponente aus?

    Schmid: Die ist natürlich mindestens genauso wichtig. Ich bin mehr als stolz auf die vielen Ehrenamtlichen und die vielen Helferkreise, die gegründet wurden. Ohne diese Menschen hätten wir das alles nicht so gut gemeistert. Die Ehrenamtlichen sind eine extrem wichtige Säule für die Integration. Es ist sensationell, dass wir im Landkreis weit mehr als 1000 ehrenamtliche Helfer haben. Das gibt mir die Zuversicht, dass die Integration bei uns im Kreis auch gelingt. Der Weg führt von der großen, oft anonymen, Gemeinschaftsunterkunft hinein in die kleinen, überschaubaren Wohneinheiten in den Städten und Gemeinden und damit unmittelbar ins Dorf- und Stadtleben. Dann reden wir wirklich von Integration.

    Unterschrift Foto: Landrat Heiko Schmid und Sozialdezernetin Petra Alger sprechen mit Redakteurin Tanja Bosch (links) über die aktuelle Lage in Bezug auf die Flüchtlinge im Landkreis Biberach Bild: Bernd Schwarzendorfer, ©Schwäbische Zeitung