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    Psychiater Dr. Hans-Otto Dumke spricht über traumatisierte Flüchtlinge

    Biberach, 01.11.2015 (sz, ©Schwäbische Zeitung)

    Bis zum Jahresende sollen laut einer aktuellen Prognose des Landratsamts weitere 1000 Flüchtlinge im Kreis unterkommen. Zusammen mit den bereits Ende 2014 im Kreis lebenden Flüchtlingen sind das dann 2700 Menschen. Viele von ihnen sind traumatisiert und haben Schlimmes auf ihrer Flucht erlebt. Seit knapp zehn Jahren engagiert sich Dr. Hans-Otto Dumke, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatrie in Bad Schussenried, für traumatisierte Flüchtlinge. Redakteurin Tanja Bosch hat mit dem 72-jährigen Nervenarzt aus Biberach gesprochen.

    Herr Dr. Dumke, wie viele traumatisierte Flüchtlinge haben Sie seit 2006 untersucht?

    Hans-Otto Dumke: Im Auftrag des Landratsamts habe ich mittlerweile 65 Asylbewerber untersucht, einige davon auch mehrfach. Insgesamt komme ich dabei auf mehr als 80 Untersuchungen. Anhand der großen Anzahl der Menschen, die allein in diesem Jahr zu uns gekommen sind, ist die Zahl allerdings relativ klein.

    Woran, glauben Sie, liegt das?

    Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wenn ich allerdings spekuliere, dann könnte ich mir das so erklären: Die meisten Menschen kommen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Es sind zu über 80 Prozent junge kräftige Männer, die eigentlich gesund sind und die meisten von ihnen nicht unter akuter Bedrohung stehen. Bei der Traumatisierung spielen auch Stabilität und Rückhalt der Familie eine große Rolle. Bei den Syrern nimmt die Familie und auch die Religion einen hohen Stellenwert ein, deshalb sind sie mehr gefestigt als beispielsweise Menschen aus Nigeria. Viele Afrikaner nehmen eine lange beschwerliche Reise auf sich und erleben Schreckliches auf ihrer langen Flucht. Viele sind mehrere Jahre unterwegs und müssen mit den Booten über das Meer. Syrer sind da sozial einfach bessergestellt.

    Woher kamen die Asylbewerber, die Sie untersucht haben?

    Mehr als 20 Menschen, die traumatisiert waren, kamen aus Nigeria, mit weitem Abstand folgten dann die Türkei und Afghanistan mit jeweils sieben Menschen. Sechs Betroffene kamen aus Tschetschenien, jeweils vier aus Gambia und dem Kosovo. Aus dem Irak, Syrien und Bosnien waren es jeweils zwei Personen. Aus Togo, dem Iran, Montenegro, Kamerun und Serbien habe ich jeweils einen Asylbewerber untersucht.

    Welche Diagnosen konnten Sie bei den Betroffenen stellen?

    Diagnostisch stellte sich bei etwa einem Drittel der untersuchten Personen eine posttraumatische Belastungsstörung heraus. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung kommen die Symptome oftmals um zum Teil Wochen oder gar Monate verzögert. Die Symptome sind dann sogenannte Flashbacks oder Nachhall-Erinnerungen. Das beginnt meist mit Schlafstörungen und Alpträumen. Es gab Menschen, die haben sich vor dem IS gefürchtet und geträumt, dass ihnen der Kopf abgeschnitten wird. Das schlimmste Erlebnis hatte eine Frau aus Tschetschenien, die mit ansehen musste, wie ihr Mann zerstückelt wurde. Vergewaltigungen sind aber vor allem bei den afrikanischen Frauen ein großes Thema. Ein weiteres Drittel hatte andere psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Anpassungsstörungen, Psychosen oder Alkoholmissbrauch. Das verbleibende Drittel hatte eher leichte Anpassungsstörungen, diese Gruppe hatte dann keine besondere Trauma-Behandlung nötig.

    Nachdem Sie eine Diagnose stellen, wie geht es dann mit den Betroffenen weiter?

    In der Regel kommen die Flüchtlinge mit einer posttraumatischen Belastungsstörung in das Behandlungszentrum für Folteropfer nach Ulm, manche werden auch nach Lindau an die Einrichtung Exilio vermittelt. Je nach Schwere der Traumata bekommen die Patienten eine unterschiedliche Anzahl an Psychotherapiesitzungen verschrieben, die Kosten übernimmt das Landratsamt. Ebenso wie die Dolmetscherkosten, die bei vielen Asylbewerbern anfallen.

    Wie hoch sind die Chancen, dass die Flüchtlinge die Traumatisierung überwinden?

    Ich würde sagen, die Chancen stehen gut und liegen bei mehr als 50 Prozent. Momentan bekommen die meisten auch einen Therapieplatz. Das wird aber wohl nicht ausreichen, denn es kommen immer mehr Menschen und auch 2016 wird es bestimmt so weitergehen. Deshalb sollte man die Behandlungsstellen auf jeden Fall schnell verstärken. Ich würde es begrüßen, wenn es in jedem Kreis einen zuständigen Trauma-Therapeuten für Flüchtlinge gäbe.

    Unterschrift Foto: Viele Flüchtlinge leiden nach ihrer Flucht unter einer psychischen Erkrankung Bild: David Ebener, ©dpa