Riedlingen, 17.07.2015 (schellhorn)
© Schwäbische Zeitung
Der Flüchtlingsstrom nach Deutschland reißt nicht ab – nach wie vor suchen tausende Menschen Zuflucht vor Krieg und Armut. Die Rechtslage, nach der die einzelnen Fälle beurteilt werden, ist kompliziert. Erst Anfang Juli hat der Bundestag das Bleiberecht per Gesetz neu geregelt. Wie sich die juristischen Bestimmungen auf die Menschen auswirken können, die sie betreffen, zeigt der Fall der Familie Haidari. Mitte März wurde das Ehepaar mit seinen drei Töchtern in seiner Riedlinger Wohnung abgeholt und nach Bulgarien überstellt. Weil sie die Zustände dort nicht aushalten konnten, machten sie sich auf den Weg zurück nach Riedlingen.
Inzwischen leben die Haidaris wieder in der Wohnung, die sie kurz vor der Überstellung nach Bulgarien neu bezogen hatten. Sie sind froh, in Riedlingen zu sein. „Aber jedes Mal, wenn die Klingel geht, habe ich Angst“, sagt die Mutter, Shaziyeh Emami. Mitte März waren rund 15 Polizisten in sechs Steifenwagen nachts gegen 1 Uhr zu der Wohnung gefahren, um die Familie abzuholen.
Die Beamten brachten die Eltern und die Töchter im Alter von 17, 14 und fünf Jahren zum Flughafen nach Frankfurt. „Sie haben gesagt, dass in Bulgarien alles organisiert ist und wir einen Anwalt bekommen“, erzählt die Mutter weiter. Nach der Ankunft in Sofia bekamen sie jedoch lediglich die Adresse einer Flüchtlingsunterkunft.
Dort angekommen wurden sie zu fünft in einem kleinen Zimmer untergebracht. „Wir haben kein Geld und kaum etwas zu essen bekommen“, sagt Vater Abdul Karim Haidari. Als seine 14-jährige Tochter Niloufar in der Küche etwas kochen wollte, habe sie ein Betreuer angeschrien, dass sie das nicht darf. Eine Möglichkeit, die unter einem Trauma leidende Mutter mit den in Riedlingen verschriebenen Medikamenten zu versorgen, gab es auch keine. „Es hieß, wir müssen die Tabletten selbst kaufen“, erzählt der Vater.
Nach rund zwei Monaten wurde die Familie weggeschickt und sollte sich selbst eine Unterkunft suchen. Da fassten die Haidaris den Entschluss zurück nach Deutschland zu gehen – vor allem auch, weil die beiden älteren Töchter wieder in die Schule wollten, erklärt die Mutter.
Die Familie meldete sich erneut in der zentralen Aufnahmestelle in Karlsruhe. Einen neuen Antrag auf Asyl konnten sie jedoch nicht stellen, weil das alte Verfahren noch läuft. Der damals für die Familie zuständige Biberacher Anwalt hatte Klage gegen die Überstellungsanordnung nach Bulgarien eingereicht. Diese war erteilt worden, weil die Haidaris unter die sogenannte Dublin-Verordnung fallen. Demnach ist derjenige Staat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig, in dem die betreffenden Personen zuerst Asyl beantragt haben.
Inzwischen ist der Kölner Rechtsanwalt Sascha Kellmann mit dem Fall Haidari betraut. Bei der Durchsicht der Akte stellte er fest, dass die Familie in Bulgarien gar keinen Asylantrag gestellt hat. „Die deutschen Behörden haben die bulgarischen darüber nicht informiert“, sagt Kellmann. Allerdings, so stehe es in der Akte, haben die Haidaris einen Antrag in Ungarn gestellt. Ob dieser zwischenzeitlich bearbeitet wurde, ist unbekannt. „Da muss Einiges schief gelaufen sein“. sagt er. „Die Behörden haben zu viel zu tun.“
Kellmann hat beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nun angeregt, dass Deutschland den Asylantrag der Haidaris bearbeitet, da sich „viele komplizierte rechtliche Fragen“ stellen. Der Kölner Anwalt verfügt über viel Erfahrung im Asylrecht. Erst jetzt habe er den Fall von zwei syrischen Männern bearbeitet, die nach Bulgarien gebracht wurden und dort in einem verdreckten Zeltlager leben mussten. „Die Schränke sind voll mit solchen Fällen.“
Lucia Braß, zuständig für die Flüchtlingsarbeit bei der Caritas Biberach-Saulgau und Mitglied im Vorstand des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, erklärt aus ihrer Sicht, warum die Dublin-Verordnung so problematisch ist: „Die Flüchtlinge haben keine Möglichkeit, ihre Situation in einem Gespräch zu schildern.“ Selbst der zuständige Anwalt müsse keinen persönlichen Kontakt zu seinen Mandanten aufnehmen. In regulären Asylverfahren ist hingegen ein Gespräch zwischen Behörde und Antragsteller obligatorisch.
Bei einer erneuten Überstellung nach Bulgarien droht den Haidaris Gefängnis. Das zumindest hätten die Betreuer in der Flüchtlingsunterkunft in Sofia gesagt, erzählt die 17-jährige Bahareh. Aber auch in Deutschland ist eine solche Vorgehensweise nach dem neuen Gesetz zur Bestimmung des Bleiberechts denkbar.
Auf der Homepage des baden-württembergischen Flüchtlingsrats heißt es, dass laut Paragraf 2 Flüchtlinge mit Dublin-Verfahren allein deshalb in Gewahrsam genommen werden können, weil sie „einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“ verlassen haben.
Unterschrift Foto:
Shaziyeh Emami und Abdul Karim Haidari und ihre Töchter Niloufar, Atena und Bahareh haben bereits viele Kilometer auf der Flucht zurückgelegt. Jetzt sind sie froh, wieder in Riedlingen zu sein.
Foto: sz - kerstin schellhorn, ©Schwäbische Zeitung