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    81 Organisationen aus dem Südwesten rufen zu gemeinsamer Kundgebung in Stuttgart auf

    Überregional, 16.01.2016

    Stuttgart sz Rund 7000 Menschen haben am Samstagmittag unter dem Motto „Halt zusammen“ auf dem Stuttgarter Schlossplatz gegen Rassismus und Gewalt demonstriert.

    Zu der Kundgebung hat ein breites Bündnis aus 81 Organisatoren aufgerufen – darunter Gewerkschaften, Arbeitgebervertretung, Landeskirchen, Wohlfahrtsverbände, Naturschutz-, Sport- und Jugendorganisationen, islamische und jüdische Religionsgemeinschaften, Migrantenverbände sowie Parteien. Laut Polizei kam es zu keinen Vorkommnissen. Auch am Rande der Veranstaltung blieb alles friedlich.

    Tuttlinger demonstrieren mit

    Tatsächlich hatten die Organisatoren mit 10 000 Menschen gerechnet. „Dafür, dass 81 Organisationen zur Demo aufgerufen haben, waren es zu wenige“, zeigt sich Uli Dorn ein wenig enttäuscht. Uli Manz relativiert: „Hinter jedem Demonstranten stehen mindestens zehn Gleichgesinnte, die Zuhause geblieben sind.“

    Die Kirchen seien es zum Beispiel nicht gewöhnt, dass ihre Bischöfe zu Demos aufriefen. Die beiden Männer gehören zu einer Gruppe von acht Menschen, die am Samstagmorgen auf das Schneeschippen in ihren Heimatorten Tuttlingen und Denkingen verzichtet haben und stattdessen nach Stuttgart gereist sind. Auch sie wollen ein Zeichen setzen: für Nächstenliebe, gegen Rassismus.

    „AfD, Pegida und andere Rechtspopulisten“

    Frank Otfried July, Bischof der evangelischen Landeskirche Württemberg, appelliert in seiner Rede an die Nächstenliebe und stützt sich dabei auf Passagen aus der Bibel sowie des Grundgesetzes. „Wenn Menschen aus Kriegsgebieten fliehen, gibt es für uns als Christen nur einen Platz: nämlich an der Seite dieser Menschen.“ Er nennt es „gotteslästerlich“, wenn hingegen Menschen mit schwarz-rot-goldenen Kreuzen herumliefen, statt Nächstenliebe zu praktizieren.

    Als „kaum aushaltbar“ bezeichnet Manuela Rukavina vom Landesfrauenrat manche Gruppierungen, die sich nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten als Verfechter der Frauenrechte aufschwängen. In Richtung „AfD, Pegida und andere Rechtspopulisten“ sagt sie: „Nein, Ihr sprecht nicht für mich. Nein, Ihr sprecht nicht für meine Werte.“

    Für Frauenrechte interessierten sich diese Gruppen nur, um Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. Mit der Landtagswahl am 13. März im Blick ruft sie dazu auf, wählen zu gehen, „und zwar demokratisch, nicht rechtspopulistisch.“

    „Ich bin nicht Köln.“

    Unter den Demonstrierenden ist auch der 34-jährige Ali Alnimei, der seit September in Stuttgart-Weilimdorf lebt. Mit Frau und Sohn ist er aus dem Irak geflohen. In seinen Händen hält er ein Schild, auf dem zwei Mal das Straßenverkehrszeichen „Durchfahrt verboten“ aufgemalt ist. Neben den Zeichen stehen zwei Worte, jeweils auf Deutsch und Arabisch: „Gewalt“ ist das eine, „Rassismus“ das andere.

    Warum er das Schild hochhält? „Weil wir Frieden brauchen“, sagt er auf Englisch. „Wenn böse Menschen etwas Schlechtes tun, müssen wir uns dagegen wehren.“ Mit einem Freund und gemeinsam vier Söhnen verfolgt er die Reden auf der Bühne. Einer der Jungen hält ebenfalls ein Schild, auf dem auf Deutsch steht: „Ich bin nicht Köln.“

    Keine Ängste schüren

    Arbeitgebervertreter Stefan Wolf, Vorsitzender von Südwestmetall, warnt vor „populistischen Rattenfängern“, die „0,0 Lösungen“ zu bieten hätten. In baden-württembergischen Betrieben arbeiteten mehr als 100 Nationalitäten gut zusammen. „Wir akzeptieren weder verbale, noch tatsächliche Brandstiftung“, so Wolf.

    Doch müssten auch die Probleme der Integration benannt und angegangen werden. Die Herausforderungen zu verschweigen sei Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. So müsse auch darüber geredet werden, ob die Kapazitätsgrenze für gelingende Integration irgendwann erschöpft sei. „Aber das Schüren von Ängsten darf nicht zur Debatte gehören.“

    Vom Jugendlichen bis zum Greis: alles dabei

    Auch wenn er sich mehr Demonstrierende erhofft hat, ist Berthold Laufer zufrieden mit der Veranstaltung. „Es ist toll, dass vom Jugendlichen bis zum Greis alles dabei war“, sagt er, bevor er sich mit seiner Gruppe auf den Heimweg nach Tuttlingen macht.

    Was auf der Bühne gesagt wurde, hängt ihnen allen nach. Ein Satz hat Beate Koch ganz besonders gut gefallen, wie sie sagt – geäußert von der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Baden-Württemberg, Gabriele Frenzer-Wolf, die in ihrer Rede brennende Flüchtlingsheime angesprochen und vor Hetzern und Demagogen am rechten Rand gewarnt hat: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.“ Beate Koch dazu: „Wir müssen unsere Demokratie verteidigen und nicht den Proleten überlassen.“

    Unterschrift Foto: Viel Applaus ernteten die Redner auf der Bühne, wenn sie sich gegen Rechtspopulismus aussprachen. Bild: Kara Ballarin, ©Schwäbische Zeitung